Das Lexikon der daemlichsten Erfindungen

meisten heilen kann. Nur ein bis zwei Fälle pro Jahr enden mit dem Tode. Und der ist qualvoll. Zuerst sind meist die Augen betroffen: Der Patient sieht verschwommene Doppelbilder, die Pupillen sind erweitert und die Lider fallen immer wieder zu. Dann kündigt Mundtrockenheit an, dass als Nächstes der Mundraum seine Funktionen verliert: Lippen, Zunge und Gaumen, schließlich auch der Kehlkopf werden taub und sind gelähmt. Es kommt zu Sprach- und Schluckstörungen. Vom Kopf aus breitet sich die Krankheit aus. Muskeln erschlaffen und führen schließlich zu Lähmungen von Herz oder Lunge: Der Patient erstickt oder stirbt an Herzversagen.
    Schon früh hatten Ärzte erkannt, dass man Botulinumtoxin   – in extremst geringen Dosen   – bei bestimmten Krankheiten, die auf Muskelverspannungen beruhen (zum Beispiel Schielen, Spannungskopfschmerz oder Speiseröhrenverengung), als Therapeutikum einsetzen kann.
    Dann aber, 1992, kamen die US -amerikanischen Mediziner Jean und Alastair Carruthers auf die brillante Idee, dass man mit dem gefährlichen Nervengift auch gut Geld verdienen kann, wenn man nicht mehr ganz taufrischen Frauen und (mittlerweile auch) Männern, die mit dem Altern Probleme haben, das Zeugs unter die Gesichtshaut spritzt. Eine reichlich dämliche Idee, tut das Botulinumtoxin dort doch genau das, was es überall macht, wo es lokal in den Körper gelangt: Es legt die Reizleitung in den Nerven lahm. Sie möchten lächeln, können es aber nicht, weil Ihre Gesichtsmuskeln den Befehl vom Gehirn nicht erhalten: Leitung gestört! Sie möchten jemandem zublinzeln. Doch auch das geht ebenso wenig wie ein Stirnrunzeln. Sie spüren die Gesichtslähmung sogar: Es bizzelt in der Haut, als gäbe es einen Kurzschluss in allen Gesichtsnerven. Dafür können Sie aber stolz darauf sein, dass Ihr Antlitz jetzt so glatt ist wie ein Kinderpopo; weil Sie keine Mimik mehr haben, bilden sich auchkeine Lach- oder Stirnfalten mehr. Dafür bemerkt man aber die Muskelerschlaffungen. Es kann schon mal vorkommen, dass ein Augenlid müde herabhängt oder sich Hämatome um die Augen bilden. Und weil Ihre Mimik zumindest sehr stark eingeschränkt ist, wirkt Ihr Gesicht so ausdruckslos wie das eines Models oder Bodybuilders bei der Vorführung von Dessous und Muskeln. Aber während dieses Maskenhafte auf Laufsteg und Bühne zumindest gewollt ist, wirkt es bei einer Geschäftsverhandlung oder auf einer Party, bei einer Abendgesellschaft oder gar beim Sex verwirrend und scheinbar teilnahmslos.
    Sagte ich gerade scheinbar teilnahmslos? Das trifft nicht ganz zu; denn wie Neurologen herausgefunden haben, gibt es eine fatale Rückkopplung zwischen fehlender Mimik und dem Gehirn, das bei jeder Körperbewegung eine Meldung »Befehl ausgeführt« von Muskeln und Nerven erwartet. Bei Botulinumlähmung kommt die aber nicht. Nach dieser Enttäuschung schränken die gefühlsverarbeitenden Gehirnregionen ihre Aktivitäten ein. Wahrscheinlich denken sie sich: »Das bringt ja doch nichts.« Das wiederum wirkt sich emotional so aus, dass die Dame (oder auch der Beau) mit dem botoxunterspritzten Gesicht die eigenen Emotionen nicht mehr richtig einschätzen kann. Das verkörperte Gefühl (embodied emotion), wie der Psychologe das nennt, geht ein gutes Stück weit verloren.
    Ja, und schließlich besteht da noch das Risiko der Nebenwirkungen   – wie Trockenheit im Mund oder dauerhafte Kopfschmerzen – nach einer Botox-Injektion. Botox ist ein Markenname, der sich aus Bo (für Botulinum) und tox (für Toxin, also Gift) zusammensetzt. Auf dem lukrativen Markt tummeln sich heute aber mehrere Hersteller, die Botulinumtoxin auch unter anderen Bezeichnungen anbieten. Wer gerne einen ebenso falten- wie ausdruckslosen Kinderpopo im Gesicht haben möchte, weil er das schön findet, dem sei das natürlich gegönnt. Doch wenndie krankhafte Nervenlähmung nach einigen Monaten abgeklungen ist, muss die Giftinjektion wiederholt werden. Und wenn ein nicht sehr erfahrener Arzt das macht (illegalerweise kann das auch ein Zahnarzt sein, der sich ein Zubrot verdienen will), dann kann das Ergebnis der Schönheitsbehandlung sogar richtig unschön sein.

Bovis-Einheit
    Der Sommer 2012 war in den Vereinigten Staaten so heiß und trocken wie seit Langem nicht mehr. Große Maisfelder verdorrten, und in ländlichen Gegenden kam es immer wieder zu Problemen mit der Wasserversorgung für das Vieh. Neue Brunnen mussten gebohrt oder gegraben werden. Aber wo? Das war die große Zeit