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Das Licht, das toetet

Titel: Das Licht, das toetet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek Meister
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mich nicht reinlassen?“
    Sie sahen sich an. Die Stille war unerträglich. Schließlich nickte Takai, ohne ihr in die Augen zu sehen.
    Irgendwas war hier faul, dachte Chiyo, denn Takais ängstliche Art wollte so gar nicht zu dem Jungen passen, der gewöhnlich Motorräder stahl und mit seinen Freunden Touristen ausnahm.
    „Du willst also eine Pause?“, hakte sie nach. „Willst du Schluss machen?“
    „Ich?“, entgegnete er empört. „Nein. Wieso denn, nein …“
    Endlich verstand Chiyo richtig. Sie schubste ihn beiseite und lief zum Schlafzimmer. In Takais Bett räkelte sich ein junges Mädchen, das gar keine Anstalten machte, ihre vollen Brüste zu bedecken. Halbnackt spielte sie Wii und ließ sich nur kurz stören, um ihr zuzuwinken.
    Chiyo fuhr herum und warf Takai einen hasserfüllten Blick zu. Er wollte etwas sagen, aber Chiyo stoppte ihn mit einer Geste. Takai hob die Hände und wollte sich erklären, als ihn ein Schlag ins Gesicht traf. Bevor er Chiyo packen konnte, hatte sie ihn schon beiseite gestoßen und war in den Hausflur gerannt. Wutentbrannt warf sie die Tür hinter sich zu.
    Eins, zwei … Sie holte Luft, drehte sich um und trat mit einem lauten Schrei gegen die Tür. Dann schnappte sie sich den Helm und ging zum Fahrstuhl. Während ein weiteres Flugzeug die Stille des Hochhauses zerriss, schlug Chiyo mit voller Kraft gegen die Verkleidung des Fahrstuhls. Immer wieder ließ sie ihre Faust gegen das zerkratzte und beschmierte Plastik krachen.

47
    Obwohl der Fahrtwind kalt war, schwitzte Bpm. Nachdem sie in Dr. Strattons Praxis etwas gegessen und ihre Wunden versorgt hatten, waren sie nach Thorpe on the Hill aufgebrochen. In dem kleinen Dorf, neunzig Meilen nördlich von Cambridge, besaß Dr. Stratton angeblich ein altes Ferienhaus.
    Ian hatte sich gewundert, dass sie die Kisten nicht bei sich zu Hause verwahrte. Er hatte damit gerechnet, von ihr schlicht einen Schuhkarton voller Briefe zu erhalten. Doch bei dieser Vorstellung hatte sie nur gelacht.
    Er saß auf dem Beifahrersitz neben Dr. Stratton, die gleichzeitig rauchte und aus einem Pappbecher Kaffee trank. Besorgt drehte sich Ian zu Bpm um, der gekrümmt auf der Rückbank des Cabrios lag. Er habe Magenkrämpfe, hatte er vor ein paar Minuten gesagt und sich hingelegt. Nun zitterte er und seine Lippen waren bläulich angelaufen. Mehrmals hatten sie nachgefragt, ob sie etwas für ihn tun könnten. Bpm hatte aber nur um einen Saft gebeten, als sie bei einem Sainsbury’s gehalten hatten, um Proviant für die Jungen zu kaufen.
    Ian glaubte nicht, dass es an Dr. Strattons Essen lag. Die Psychiaterin hatte ihnen ihr Mittag vom Vortag, Roastbeef mit Nudeln, in der Mikrowelle erwärmt. Nach all dem Fast Food der letzten Tage hatte es köstlich geschmeckt. Hoffentlich hat es nichts mit dem Messerstich zu tun, dachte er. Gut, dass auch Dr. Stratton sich die Wunde angesehen und sie mit Jod desinfiziert hat.
    „Ist alles okay?“, fragte er Bpm beunruhigt.
    „Mir ist nur ein bisschen schlecht. Geht schon.“
    „Ist es deine Wunde?“
    Bpm schüttelte den Kopf. „Nein, glaube nicht.“
    Ian wandte sich wieder Dr. Stratton zu. Während er vor einigen Stunden noch wütend gewesen war, dass sein Vater Olivia mit dieser Frau betrogen hatte, so war sein Zorn nun der Neugier gewichen. Schon in der Praxis hatte er Dr. Stratton die fünf Symbole gezeigt, doch sie hatte nur die Stirn gerunzelt. Ian zog noch einmal die Kopien des Notizbuches aus seinem Rucksack, die Seymour ihm überlassen hatte.
    „Er muss doch gewusst haben, was diese Symbole bedeuten und woher diese … diese Feuerengel stammen!“
    Und wie man sie vernichten kann, ergänzte er in Gedanken.
    „Mag sein, ja. Aber das ist Jahre her.“ Dr. Stratton drückte ihre Zigarette im Ascher aus. „Unser letztes Treffen hatten wir, als du gerade mal geboren warst. Glaube ich zumindest. Vielleicht hat er etwas gesagt, aber dann müsste es in der Krankenakte stehen.“
    Schwungvoll nahm sie die Ausfahrt und bog auf eine schmale Landstraße ab. Sie fuhr schweigend zwei Meilen, dann wandte sich die Psychiaterin Ian zu. „Definierst du deinen Vater eigentlich nur über seine Krankheit? Was ist so wichtig an seinen Wahnvorstellungen? Gibt’s nichts anderes, was dich interessiert? Ehrlich gesagt, bin ich überrascht, dass du mit mir nur über sein Krankheitsbild sprechen willst.“
    Ian wollte etwas erwidern, biss sich dann aber auf die Zunge. Er schaute aus dem Seitenfenster auf die grünen Maisfelder.

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