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Das Licht, das toetet

Titel: Das Licht, das toetet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek Meister
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Meter Entfernung riechen, dass Bpms Vater wieder trank.
    „Ähm, also, wenn Bpm nicht da ist, dann werde ich mal wieder –“
    „Weiß nicht, wo er steckt. Eigentlich hatte er versprochen, die Lieferung mit mir auszupacken“, unterbrach ihn Bpms Vater und strich sich die spärlichen Haare nach hinten. „Vielleicht ist er am Pier.“
    Der stämmige Mann hatte sein Geld als Schweißer auf einer Werft verdient, bevor er das Geschäft gekauft hatte. Doch der Malerladen hatte ihm kein Glück gebracht. Nicht erst seit seine Frau weggelaufen war, ertränkte er seinen Frust in Alkohol. Ian war froh, als das Telefon klingelte und er sich verabschieden konnte.
    Wie er vermutet hatte, waren seine Mutter und Peter bereits nach London aufgebrochen. Hoffnungsvoll schaute Ian aus dem Fenster zum Haus seines Freundes, doch Bpms PC war ausgeschaltet und sein Zimmer lag im Dunkeln. Eigentlich hatte er gehofft, mit Bpm beim Filmgucken ein bisschen über seine Mutter zu lästern oder mit ihm über seine Visionen und seinen Vater zu sprechen, aber Bpm schien heute erst spät nach Hause zu kommen. Wahrscheinlich schlich er um Michelles Haus herum und plante irgendeine neue Aktion, um sie zu erobern. Vielleicht traf er sich aber auch mit Kumpels im Mayhem.
    Ian ließ seinen Blick durchs Zimmer schweifen. An den Wänden hatte er Poster und einige Comiczeichnungen aufgehängt. Er liebte es, Skizzen zu Mangas und Studien von Typen zu entwerfen, mit denen er später einmal ein eigenes Comicheft füllen wollte. Neben seinem Schreibtisch stand ein alter Durchlichter, den Peter ihm geschenkt hatte, damit er seine Skizzen besser durchpausen konnte. Er betrachtete seine neuesten Studien, die er aus Platzmangel über Poster von Christina Aguilera und den Arctic Monkeys gepinnt hatte. Im Moment skizzierte er am liebsten fremde Metropolen: Paris, Berlin, San Francisco, Tokio.
    Ian nahm sich ein paar Copic-Marker und fing an, seine Outline-Zeichnungen zu kolorieren. Erst als es draußen zu dämmern und sein Magen zu knurren begann, legte er die Stifte beiseite.
    In der Küche entdeckte er eine Packung Mikrowellen-Popcorn, das seine Mutter ihm offenbar von Tesco mitgebracht hatte. Er griff nach der Tüte und sah, dass unter dem Popcorn ein Brief lag. Vermutlich wollte sich seine Mutter dafür entschuldigen, dass sie so voreilig einen Termin für ihn bei dem Psycho-Doktor vereinbart hatte. Er schnappte sich den Brief und setzte sich ins Wohnzimmer.
    Der Raum mit den Panoramascheiben, durch die man in den Garten sehen konnte, glich einer Ausstellung für modernes Wohnen. Parodontose-Peter hatte eine viel zu große, weiße Designercouch für ihr schmales Wohnzimmer gekauft. Doch die Krönung war der neue überdimensionale, antiseptische weiße Couchtisch mit gefrosteter Glasplatte, der auf einem weißen Flokati-Teppich thronte.
    Das Weiß in Weiß wirkte in dem kleinen britischen Reihenhaus so passend wie eine Kloschüssel in der Küche. Abgesehen von der Couch, dem Tisch und einem schmalen Sideboard war der Raum leer. An den Wänden hingen noch nicht einmal Bilder, weil dies den sauberen Gesamteindruck zerstört hätte, wie Peter erklärt hatte. Ian hatte ihm vorgeschlagen, wenigstens einen seiner übergroßen Plastikzähne auf das Board zu stellen, doch weder seine Mutter noch Peter hatten gelacht. Offenbar war er der Einzige, der sich in dem Raum wie ein Patient in einer Zahnarztpraxis fühlte. Das einzig Gute war der sündhaft teure Plasmafernseher.
    Ian schaltete ihn ein, öffnete sich eine Cola und riss den Brief auf. Zu seiner Überraschung enthielt der Umschlag zwei Fotos seines Vaters. Er knipste die Halogen-Bodenleuchte an, um besser sehen zu können.
    Die Aufnahmen waren über die Jahre verblichen und gelbstichig geworden. Auf dem ersten Foto hielt ihn sein Vater im Arm. Ian trug einen Strampelanzug und kaute auf einem Nuckel herum, während sein Vater mit hochgekrempeltem Hemd lässig an der Motorhaube seines BMWs lehnte und über den Rand seiner Sonnenbrille in die Kamera grinste. Seinen Vater zu sehen, sogar sich selbst auf seinem Arm, hinterließ bei Ian nur ein taubes Gefühl.
    Schließlich hatte er ihn nie wirklich kennengelernt. Thomas Boroughs war für ihn nur ein loses Knäuel aus Geschichten, die seine Mutter ihm erzählt hatte. Keine eigenen Bilder im Kopf, keine Gefühle, keine wahren Erinnerungen.
    Ian betrachtete das zweite Foto. Vom Grinsen seines Vaters war nicht mehr als ein gestelltes Lächeln übrig geblieben. Thomas

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