Das Licht, das toetet
Boroughs saß im Schein einer kleinen Leselampe und eines Laptops am Schreibtisch. Genau konnte Ian es nicht sagen, aber sein Vater wirkte überrascht. So als wäre Olivia ins Zimmer gestürmt und hätte ihn einfach fotografiert, ohne zu fragen.
Es kam ihm vor, als sei sein Vater auf diesem Foto um Jahre gealtert. Vielleicht lag es am fahlen Licht des Laptops, aber er meinte, tiefe Falten in seinem Gesicht zu erkennen. Obwohl zwischen den Fotos höchstens zwei, drei Jahre liegen konnten, sahen seine Augen mit einem Mal stumpf, sein Lächeln bemüht aus.
Ian wollte die Fotos gerade zurück in den Umschlag stecken, als ihm auf dem zweiten Bild noch etwas anderes auffiel. Es lag im Halbschatten und war durch das schlechte Licht im Arbeitszimmer kaum zu erkennen. Er hatte es für das Muster der Tapete gehalten, doch nun war er sich nicht mehr sicher.
Schnell holte er eine Lupe aus seinem Zimmer und sah sich die Aufnahme noch einmal genauer an. Tatsächlich war da eindeutig ein Bild an der Wand zu erkennen. War es ein Plakat? Ian hielt das Foto ins Licht des Plasmafernsehers und fuhr mit der Lupe ein weiteres Mal jeden Zentimeter ab.
Es war kein Plakat. Es war eine Zeichnung. Ian konnte Linien und Symbole erkennen. Doch das Foto war zu klein und die Ausleuchtung zu schwach, um sie zu entziffern. Er drehte das Bild in der Hand, als mit einem Schlag das Licht zu flackern und der Fernseher zu rauschen begann. Vor Schreck schrie Ian auf. „Na, ganz toll“, murmelte er und ließ das Foto sinken.
Schnee füllte das Bild des Fernsehers. Das elektronische Knistern jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Zappelnd und flackernd hüllte das unnatürliche Licht das Wohnzimmer ein. Harte Schatten sprangen hinter jeder Ecke und jeder Kante hervor. Sie zuckten wie im Todeskampf und Ian meinte, das Rauschen nicht nur zu hören, sondern auch auf seiner Haut spüren zu können. Fahrig wischte er sich über die nackten Arme.
Nachdem er alle Sender durchprobiert hatte, stand er seufzend auf und zwängte sich am Glastisch vorbei. Zero, den der Krach geweckt hatte, folgte seinem Herrchen neugierig zum DVD-Player. Ian wollte gerade die Kabel überprüfen, als – POCK.
Er blickte hinunter auf den weißen Flokati, den sein Stiefvater so sehr liebte. Ein roter Fleck. Das war eindeutig … eindeutig Blut.
Einer bösen Ahnung folgend legte Ian den Kopf in den Nacken und blickte an die Decke. Nein, er steckte nicht mitten in einem seiner Horrorfilme, kein blutrünstiger Serienkiller hing unter der Decke, kein grausamer Spuk schrieb blutige Nachrichten an die Wand. Erst als er den metallischen Geschmack auf seiner Zunge wahrnahm, begriff er, wessen Blut auf den Teppich getropft war. Ungläubig tastete er nach seiner Lippe und spürte die Wärme seines Blutes.
Schon wieder Nasenbluten. Wieso hatte er neuerdings immer – KLACK.
Das Licht fiel aus. Abrupt verstummte das Rauschen des Fernsehers. Dunkle Stille senkte sich mit einem Schlag über das Haus. Plötzlich war es nicht nur im Wohnzimmer, sondern auch im Flur stockduster. Ian hielt den Atem an und Zero begann aufgeregt zu bellen.
„Ist okay. Zero. Alles okay. Nur ein Stromausfall …“, beruhigte er ihn. In der Dunkelheit konnte Ian seinen Hund nicht sehen, obwohl er keinen Meter von ihm entfernt sein musste. Nur langsam gewöhnten sich seine Augen an die Finsternis. Ein Auto fuhr draußen vorbei. Die Scheinwerfer wischten durch den Flur, nur kurz, aber es reichte, um den Weg zur Tür zu finden.
Ian drückte mehrmals auf den Lichtschalter, aber nichts tat sich. „Mist, die Sicherung ist raus“, stöhnte er. Während er die linke Hand unter die Nase hielt und mit der rechten an der Wand entlangfuhr, tastete er sich Schritt für Schritt durch den Flur zur Küche vor. Zum Glück wusste er, wo die Taschenlampe lag, und fand sie mit einem Griff.
Kaum hatte er sie angeknipst, zerriss ein Summen die Stille. Es kam schnell und so wuchtig, dass Ian vor Schreck die Lampe entglitt. Er presste sich die Hände auf die Ohren. Da war es wieder. Sein Herz begann zu rasen. Das Fiepen aus dem Hangar.
Hier im Haus.
Geister.
Die Taschenlampe war auf die Küchenfliesen aufgeschlagen, erloschen und unter den Tisch gekullert. „Verdammt!“, fluchte Ian.
Er spürte sie. Er spürte die Geister. Hatte sein Vater sie auch gespürt? Während das Knistern anschwoll, glaubte er, ein Windhauch streiche über seine Haut. Vorsichtig nahm er die Hände von den Ohren, versuchte das Fiepen zu ignorieren
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