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Das Licht, das toetet

Titel: Das Licht, das toetet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek Meister
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fühlte sich an, als ramme ihn ein Truck in die Seite. Eine Böe drückte so heftig gegen das Schneemobil, dass er keine Chance mehr hatte. Sie warf ihn um, als wäre das Fahrzeug aus Papier.
    Der Schnee raste auf ihn zu und er betete, dass er nicht auf Eis landen, sondern in eine der weicheren Wehen fallen würde. Dann hörte er das laute ROOOOOOO-AAAAAAHRRRR des Motors. Eine Sekunde später knallte er mit dem Gesicht gegen die Plastikverkleidung des Schneemobils. Schlagartig senkte sich im ewigen Weiß die Schwärze um ihn. Er sah weder, wie die Kette des Fahrzeugs laut kreischend an seinem Kopf vorbeischoss, noch spürte er, dass die Kufen des Schlittens seinen Thermoanzug aufrissen und in sein rechtes Bein schnitten. Das Schneemobil krachte auf die Eisfläche und überschlug sich. Erst jetzt riss die Notleine aus dem Lenker, die Daniel sich ums Handgelenk geschlungen hatte. Der Motor verstummte jäh.
    Stille. Nur das Peitschen des Windes war zu hören, der mit Millionen Eisnadeln in Daniels Anzug stach und den Stoff zum Knistern brachte.
    Das seltsame Rascheln seines Schneeanzugs wurde mit einem Mal von einem anderen Geräusch übertönt. Dem Knacken aus den Lautsprechern seines Computers. Kleine Punkte tauchten vor ihm auf und Daniel wusste sofort, was sie waren: Hunderte von kopfgroßen, durchsichtigen Kugeln, die er und die Wissenschaftler von AMANDA an Kabeln im Eis versenkt hatten. Es waren ihre Sensoren. Sie nannten die Messgeräte Murmeln oder Glasaugen, weil sie tief ins Eis blickten. Ohne zu blinzeln, starrten sie in die ewige Nacht und meldeten jeden Blitz, den ein Neutrino auslöste, wenn es auf ein Atom im Eis traf.
    Tagein, tagaus hatte Daniel auf die Monitore in der Amundsen-Scott-Base gestarrt und dem Rauschen und merkwürdigen Knacken gelauscht. Doch nun, das Gesicht im Schnee, ohne Schutz vor der Kälte, die unbarmherzig in seinen Anzug drang, meinte er, direkt im Innern des Eises zu sein.
    Ihre Glasaugen reichten bis zu zwei Kilometer tief in den antarktischen Eispanzer. Wie Perlen auf einer Schnur hingen sie aufgereiht in der Dunkelheit. Die meisten von ihnen befanden sich in einer Tiefe zwischen 1500 und 2000 Metern – vier- bis fünfmal tiefer, als der Pariser Eiffelturm hoch war. 1997 hatten Forscher begonnen, über 300 der Glasaugen zu versenken. Zehn Kabel mit Murmeln hatten sie ins Eis hinuntergelassen. Vor einigen Jahren hatten Daniel und seine Kollegen das Feld, in das die Schächte gebohrt worden waren, zu erweitern begonnen. Mittlerweile waren es neunzehn Ketten, an denen insgesamt 670 Fotovervielfacher hingen. Das Feld an der Oberfläche, in dem die Bohrungen lagen, war größer als vierzehn Fußballfelder. Die ganze Anlage, der Eiswürfel, in dem die Murmeln hingen, hatte eine Kantengröße von 2000 x 500 x 200 Meter. Ein Teleskop, ein Array , wie sie es nannten, von über zwei Millionen Kubikmetern. Die größte Antenne der Welt, um eines der flüchtigsten Teilchen im Universum nachzuweisen. Das winzig kleine Neutrino.
    Antarctic Muon and Neutrino Detector Array – kurz AMANDA – war das größte Teleskop, das je gebaut worden war.
    Vor Daniels geistigem Auge begannen Lichtblitze das Schwarz zu durchzucken und die Murmeln registrierten jeden Impact, jeden Knall. Das seltene Auftreffen der Neutrinos wurde zu einem immer lauteren Knistern und Knacken.
    Es stammte von Daniels Funkgerät, das er noch immer am Gürtel trug.
    „…iel, bitte kommen. Daniel? Wo steckst du? Daniel, kom… bitte …“ Alvas Stimme krächzte, doch Daniel reagierte nicht.
    Der junge Physiker blieb reglos im Schnee liegen und träumte von den Spuren der Neutrinos.

15
    Obwohl das Thermometer über 30 Grad angezeigt hatte, war Ian den ganzen Tag mit Zero draußen gewesen. Eine Weile lang hatte er in der Einfahrt Körbe geworfen, doch als seine Mutter nach ihm gerufen hatte, war er lieber mit dem Rad zum Pier gefahren. Nachdem er ein wenig mit Zero herumgestromert war, hatte er sich ein stilles Plätzchen im Halbschatten der Fahrgeschäfte gesucht, die Beine vom Steg baumeln lassen und den Touristen beim Flanieren zugesehen. Die ganze Zeit über waren seine Gedanken um das Gespräch mit seiner Mutter gekreist.
    Er blickte auf die Uhr. Kurz nach sieben. Seine Eltern dürften schon in die Oper nach London gefahren sein. Ian verließ den Pier und radelte zum Malerladen. Er wollte Bpm zu einem Videoabend einladen, doch er traf nur seinen Vater an, der Lackdosen in die Regale sortierte.
    Ian konnte auf drei

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