Das Licht, das toetet
Mehr noch: Die Scribbles stimmten nicht. Sie verblassten nicht nur, sondern wurden mehr und mehr übertüncht.
Seinen Hund hatte er bereits an die Geister verloren, nun holten sie sich auch noch das Bild seines Vaters.
„Jetzt warte doch.“ Mit ein paar Sätzen war Bpm wieder bei ihm. Er rang nach Atem. „Die Polizei wird dir nicht glauben, Ian. Niemand wird dir glauben.“
Bpm sah ihm direkt in die Augen. „Ich habe es ernst gemeint, als wir aufgebrochen sind, Ian. Obwohl ich nicht an Geister glaube, bin ich mitgekommen … Ich glaube nicht an Geister – aber ich glaube an dich. Wir ziehen das durch. Wir schaffen das gemeinsam. Es ist vielleicht das einzige und letzte Abenteuer, das wir zusammen erleben werden.“
Ian musste sich eingestehen, selten so viel Ernsthaftigkeit in Bpms Augen gesehen zu haben. Regen lief ihm über das Gesicht, aber er schien es nicht einmal zu merken.
„Glaubst du, du bist der Einzige, der aus Southend raus will? Meinst du, ich will den Malerladen meines Vaters übernehmen und mit meinen Schulkumpels, mit Captain Kinnfresse, Michelle und Cathy mein Leben lang in den Pubs unseres Kaffs rumhängen?“
Ian antwortete nicht. Ich habe ihn zu dem ganzen Mist angestiftet, dachte er und wischte sich den Regen aus dem Gesicht. Ich habe vollmundig gesagt, dass ich diese Geister jagen will. Wenn Bpm etwas passiert … Die Verantwortung kann ich nicht übernehmen.
„Denkst du, ich sehe zu, wie du ein berühmter Comic-Zeichner – oder Geisterbeschwörer – wirst und ich zisch Bier am Pier von Southend? Nein. Vielleicht ist das hier unser einziges Abenteuer, das wir jemals haben werden, Ian. Sehr wahrscheinlich ist es das. Es ist unser Sommer. Wir werden bald getrennte Wege gehen. Das ist unsere Chance, lass sie nicht verstreichen.“
Ian sah zweifelnd auf den nassen Kies des Parkplatzes und schließlich auf Bpm, der sich angespannt mit beiden Händen an der leeren Flasche festklammerte.
„Wir kriegen raus, was der Cowboy will und was deine Visionen zu sagen haben. Wir machen das zusammen. Es ist unser Film. Und er läuft da draußen. In Farbe, mit THX-Sound in Breitwand-Format. Und du willst, dass andere die Hauptrolle spielen?“
„Okay, okay, ist schon gut!“, seufzend gab Ian seinem Freund nach. Er spürte, wie ihm das Wasser aus den Haaren rann.
„Danke. So, und jetzt besiegeln wir das.“ Bpm hielt die Colaflasche hoch.
Mit einem Mal schlug er sie mit voller Wucht gegen einen Stein. Dann hob er eine Scherbe auf und ritzte sich damit in den Arm.
„Du hast ’nen Knall!“
„Blutsschwur.“ Bpm reichte Ian die Scherbe. „Unser Sommer.“
„Blutsschwur“, entgegnete Ian und ritzte sich ebenfalls in den Arm.
Sie pressten ihre Wunden aufeinander und verharrten im Regen.
Schweigend sahen sie auf ihre Arme, an denen sich das Blut vermischte, hinuntertropfte und den nassen Kies vor dem Motorrad färbte.
Nicht nur Freunde. Blutsbrüder.
Fluchend riss Bpm seinen Arm hoch. „Shit! Oh, Mann. Ich verblute! Hast du Pflaster dabei?“
30
Es roch nach Schweiß, Parfüm und Zigarettenrauch, der durch die offene Toilettentür in den Club zog. Die Beats dröhnten Ian in den Ohren. Seit dem Vorfall im Hangar hatte er das Gefühl, bewusster auf alle Töne zu achten. Früher war er wie taub durch die Straßen gegangen, ohne die einzelnen Geräusche zu registrieren. Doch seit den letzten Stunden meinte er, überall das seltsame Fiepen zu hören. Wahrscheinlich nahm er deswegen jeden Ton, jedes Tuscheln und jeden Fetzen Musik lauter wahr.
Er lehnte an einem Stehtisch und wartete auf Bpm, der sich auf der kleinen Tanzfläche im Rhythmus der Musik bewegte. Müde ließ er seinen Blick über die Tänzer und die Bar gleiten. Die meisten Clubgäste waren einundzwanzig oder älter. Eine Gruppe von stark geschminkten Frauen hockte mit betont gelangweilten Gesichtern auf den Sofas in der Lounge-Ecke. Ein paar betrunkene Studenten flirteten mit einer Kellnerin und zwei Mädels lästerten über ein knutschendes Pärchen. Ein Paradies für Studien.
Ian, der nicht so oft nachts unterwegs war wie Bpm, genoss es, ab und an sein Skizzenbuch mit ins Meyham zu nehmen und die verschiedenen Typen und Charaktere zu zeichnen. Stiernackige Türsteher, extrovertierte Tänzer, aufgestylte Lolita-Bräute, abgewrackte Singles. In seinen Zeichnungen wurde jede Facette geschliffen und jeder Mensch zu einem einfachen Typen. Ein Sammelsurium aus verschiedenen Momenten des Lebens, reduziert auf den Kern, den
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