Das Licht des Orakels
Außerdem wollte sie im Tempel lernen und eine Priesterin des Orakels werden, wenn sie erwählt wurde. Uste erschien ihr jetzt schon als trostloser, dumpfer Ort, an dem sie nicht mehr leben konnte.
Schweigend ritt sie weiter, die Augen auf die unwirtliche Landschaft gerichtet, bis sie schrecklichen Durst bekam.
Als sie das Gefühl hatte, es nicht mehr länger aushalten zu können, bat sie Nirene um einen Schluck Wasser.
Mit steinernem Gesicht wandte sich Nirene ihr zu.
»Was hast du mit deiner Wasserflasche gemacht?«
»Das hast du doch gesehen. Ich hab sie weggegeben.
Sie wäre sonst gestorben.«
Nirene schüttelte den Kopf. Die Falten auf ihrer Stirn vertieften sich. »Du musst lernen, besser auf das, was man dir gibt, zu achten.«
»Aber ich konnte sie doch nicht einfach so zurücklassen!
Bitte!«
Dann sah Bryn Nirenes zusammengekniffene Augen, und ihr wurde klar, dass sie nun besser nichts mehr sagte.
Sie musste so tun, als hätte sie ein Gespenst gesehen.
Vor Angst bekam sie trotz der Hitze Gänsehaut. Wie lange würde sie die Wüste ohne Wasser ertragen müssen?
Was für Leute waren das eigentlich und wie würde es ihr bei ihnen ergehen?
Als die Gruppe gegen Mittag kurz hielt, um zu beten und zu essen, gab Nirene Bryn einen Keks und eine Hand voll Datteln. Bryn hatte Probleme mit dem Schlucken, denn der Keks war trocken und die Datteln faserig. Clea hob ihre Wasserflasche an den Mund und trank absichtlich laut, während Bryn darauf hoffte, dass ihr jemand wenigstens ein paar Tropfen Wasser anbot, doch das tat keiner. Die Stute bekam etwas zu trinken, aber Bryn nicht.
Vielleicht sollte sie zum Meisterpriester gehen und ihm von ihrem Durst erzählen? Doch Renchald war ungerührt vom Flehen der Unbekannten weitergeritten.
Wenn er erfuhr, dass Bryn ihr Wasser hergegeben hatte, würde er vielleicht sogar anordnen, sie zurückzulassen.
Sie zog die Knie an, legte die Arme um die Beine und versuchte, ihren ganzen Körper mit dem Hut zu beschatten. Ich bin froh, dass ich ihr das Wasser gegeben habe, dachte sie starrköpfig.
Den ganzen Nachmittag ritten sie. Die Hitze dauerte an und Bryns trockene Lippen platzten auf. Bei jeder Kreuzung war sie versucht, zu Renchald zu rennen und den Wein, den er verspritzte, mit der Zunge aufzufangen.
Visionen von Wasser geisterten ihr durch den Kopf, von
Bächen und Teichen und von der tiefen Stelle des Steinbruchs. Sie stellte sich die Wüste als einen kühlen, glitzernden See vor. Am liebsten hätte sie die brennenden Augen geschlossen und sich vom Pferd gleiten lassen.
Doch wenn sie das tat, würde ihr wohl kaum jemand wieder aufhelfen.
Als die Sonne tiefer sank, tauchten einige grüne Flecken im Sand auf. Zuerst dachte Bryn, sie würde träumen, aber dann wurde auch die Luft anders, ein ganz kleines bisschen roch es nach kühlem Wasser. Sie sah Büschel von hartem Gras, dann schmächtige Büsche und schließlich Bäume. Seltsam verdrechselte Bäume, deren Blätter eher Nadeln glichen, aber es waren immerhin Bäume. Als der Zug über eine Hügelkuppe kam, lag in weniger als einer halben Meile Entfernung eine Stadt.
»Bewel«, sagte Nirene. »Hier bleiben wir über
Nacht.« Bryn hörte sie nur undeutlich und wie aus großer Entfernung.
Gerade als Bryn sich sicher war, dass sie gleich vom Pferd fallen würde, hielt der Zug an. Bryn ließ sich einfach aus dem Sattel gleiten und landete auf vertrocknetem Abfall, der auf dem Boden lag. Während sie noch versuchte, sich wieder aufzurappeln, trat ein feiner Schuh auf ihre Hand und sie hörte Cleas gehässiges Lachen.
Wie gern hätte sie König Zors Abkömmling in einen Haufen dampfenden Mist stolpern lassen!
Über ihr stand Nirene. »Steh auf!«
Mühsam kam Bryn auf die Knie und sah sich nach einer Stütze um, aber da war nichts mehr. Die Pferde waren schon weggeführt worden. Sie streckte die Hand nach Nirene aus, doch die Sendrata verschränkte die Arme vor der Brust. Mit zusammengebissenen Zähnen zwang sich Bryn aufzustehen, doch der Boden im Hof des Gasthauses schien zu schwanken, ihre Beine gaben nach und sie fiel hin.
»Auch gut«, sagte Nirene. »Schlaf hier.« Mit festen Schritten entfernte sie sich und verschwand im Gasthaus, wo bereits alle anderen waren.
Bryn versuchte ihr etwas nachzurufen, doch sie brachte keinen Ton heraus, nur ein trockenes Geräusch, das klang, als würden Steine aneinander gerieben. Sie schloss die Augen.
Im besten Zimmer, das der Gasthof zu bieten hatte, stand Nirene
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