Das Licht ferner Tage
wertvollsten Gemälde des Museums auf seine Echtheit zu überprüfen.
Auch wenn sich das Ergebnis als wenig erfreulich erwies.
Zunächst war die Suche einfach und beschränkte sich auf die Wände des Louvre selbst. Vor dem verschwommenen Strom der Besucher und von Generationen von Kuratoren begleitet, saß die feine alte Dame im Halbdunkel hinter den Scheiben aus Sicherheitsglas und ließ stumm die Zeit an sich vorbeiziehen.
Die Jahre vor dem Umzug in den Louvre waren schon nicht mehr so einfach.
Bernice erkannte streiflichtartig eine Anzahl von Palästen und Angehörige diverser Adelsgeschlechter, die hin und wieder von Kriegen, sozialen Unruhen und Armut heimgesucht wurden. Die bis ins 17. Jahrhundert zurückreichende Aufzeichnung bestätigte im wesentlichen die Echtheit des Gemäldes.
Am Anfang jenes Jahrhunderts, über hundert Jahre nach der mutmaßlichen Entstehung des Bildes, erfolgte die erste Überraschung. Bernice schaute konsterniert zu, wie ein hagerer, halb verhungert aussehender junger Maler vor zwei Exemplare des berühmten Bilds trat und im zeitlichen Rücklauf mit schwungvollen Pinselstrichen die Kopie vernichtete, die über Jahrhunderte in der Obhut des Louvre sich befunden hatte.
Sie machte einen Abstecher in die Relativ-Zukunft, um das Schicksal des älteren ›Originals‹ zu verfolgen, nach dem die Kopie im Louvre – eine billige Kopie, eine Replika! – entstanden war. Und entdeckte, dass dem ›Original‹ eine Lebensdauer von nur zweihundert Jahren beschieden war, ehe es während der französischen Revolution durch ein Feuer zerstört wurde.
WurmCam- Studien hatten viele weltberühmte Kunstwerke als Fälschungen und Kopien entlarvt – über siebzig Prozent aller Gemälde vor dem 20. Jahrhundert. Und einen geringeren Anteil von Skulpturen, der wohl nur deshalb kleiner war, weil die Kopie einer Skulptur mit höherem Aufwand verbunden blieb. Die Geschichte war eine gefährliche Einbahnstraße, die kaum etwas Wertvolles unbeschadet passierte.
Die Museumsverwaltung hatte keinen Hinweis gehabt, dass ausgerechnet dieses Gemälde eine Fälschung sein könnte. Es war bekannt, dass mindestens ein Dutzend Replikas zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten existiert hatten. Der Louvre verfügte aber über eine lückenlose Dokumentation aller Besitzer des Bilds, seit der Künstler den Pinsel aus der Hand gelegt hatte. Zumal es Anzeichen für Änderungen unter der Deckschicht des Gemäldes gab, was eher für ein geprüftes und überarbeitetes Original als für eine Kopie sprach.
Dann war es aber auch möglich, Zeichentechniken und Unterlagen zu fälschen, sagte Bernice sich.
Verwirrt spulte sie die Jahrzehnte bis zum Künstler im schäbigen Atelier ab und folgte dem ›Original‹, das er kopiert hatte, tiefer in die Vergangenheit.
Die Jahrzehnte zogen flackernd an ihr vorbei, und sie verzeichnete weitere Besitzerwechsel, während das Gemälde selbst einen verwaschenen Hintergrund bildete.
Schließlich erreichte sie den Anfang des 16. Jahrhunderts und näherte sich seinem Atelier in Florenz. Selbst jetzt wurden noch Kopien angefertigt, und zwar von den Schülern des Meisters. Alle Kopien stammten von diesem verlorenen ›Original‹, das sie identifiziert hatte.
Sie rechnete mit keinen weiteren Überraschungen mehr.
Und hatte sich getäuscht.
Gewiss, er war an der Entstehung des Bilds beteiligt. Er hatte das Gemälde mit entworfen und vorläufige Skizzen angefertigt. Er erhob den Anspruch, das ideale Porträt zu schaffen; die Züge und symbolischen Obertöne des Motivs würden zu einer perfekten Einheit verschmelzen, mit schwungvollem fließendem Stil seine Zeitgenossen in Erstaunen versetzen und spätere Generationen faszinieren. Es war wirklich seine Idee, und dafür gebührte ihm der Triumph.
Aber mit der Ausführung hatte er nichts zu tun. Das überließ der Meister, der durch viele Verpflichtungen und seine wissenschaftlichen und technologischen Interessen gebunden war, anderen.
Bernice schwankte zwischen Ehrfurcht und Enttäuschung, als sie sah, wie ein junger Mann aus der Provinz mit Namen Raphael Sanzio dieses sanfte und rätselhafte Lächeln mit akkuraten Pinselstrichen vollendete…
Patefields Aussage: Man mag es bedauern, dass viele liebgewonnene und harmlose Mythen sich verflüchtigen, nachdem sie ans kalte Licht eines Tages in der Zukunft gebracht wurden.
Betsy Ross ist ein solches Beispiel.
Es gab wirklich eine Betsy Ross. Sie bekam aber nie Besuch von George
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