Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2
Dad, ich…«
»Sei nicht so wehleidig! Was wollen wir denn schon von dir? Du fährst nach San Francisco und findest das glückliche Paar, was selbst für dich nicht so schwierig sein sollte, da sie im Chinatown Holiday Inn, Zimmer Zehn-Sechzehn wohnen, das steht in der Akte. Du schnappst dir die Braut allein, drückst ihr einen Batzen Kohle in die Hand, und sie läßt ihn fallen. Sie ist nicht blöd. Sie weiß, daß Geld für gar nichts besser ist, als Geld für was anderes.
Dann freundest du dich mit Pendleton an, trinkst was mit ihm, hörst dir seine traurige Geschichte an und schleppst ihn ins Flugzeug. Wie lang wird das dauern? Drei, vier Tage?«
Neal ging hinüber zum Fenster. Es regnete etwas weniger, aber der Nebel war dichter geworden.
»Wie schön, daß du den Fall schon gelöst hast, Graham. Wirst du auch meine Magisterarbeit für mich schreiben?«
»Mach einfach deinen Job und komm zurück. Du kannst den ganzen Sommer hier im Moor-Hilton verbringen, wenn du willst. Allerdings mußt du am 9. September wieder an der Uni sein.«
Er holte einen großen Umschlag aus seinem Koffer.
»Der Stundenplan und die Bücherlisten für – wie nennt ihr das? – deine Seminare. Hab’ ich mit Boskin zusammengestellt.«
Graham ist so verdammt gut, dachte Neal. Der gute alte Graham bringt die Preise mit und läßt sie vor meiner Nase baumeln: Seminare, Bücherlisten… Das mußt du ihm lassen – er kennt seine Huren.
»Du bist zu gut zu mir, Dad.«
»Was du nichts sagst.«
Na gut, dachte Neal, ein paar Tage Laufereien in Kalifornien und dann zurück in meine wunderbare Mönchszelle im Moor. Ich lese zu Ende, und dann zurück an die Uni. Verdammt, dieses Doppelleben. Manchmal fühle ich mich wie mein eigener Zwillingsbruder – der Schwachsinnige.
»Yeah, okay«, sagte Neal.
Vielleicht ist es wirklich Zeit, den Hügel zu verlassen, dachte Neal. Mich über diesen einfachen kleinen Job wieder mit der Welt vertraut machen. Vielleicht ist es zu einfach hier, wo ich mich um nichts kümmern muß, außer um Autoren, die seit ein paar hundert Jahren tot sind.
»Hast du was von Diane gehört?« fragte Graham.
Neal dachte an den Brief, der seit sechs Monaten ungeöffnet auf dem Tisch lag. Er hatte Angst gehabt, ihn zu lesen.
»Ich habe nie auf ihren Brief geantwortet«, sagte Neal.
»Du bist ein Idiot.«
»Was du nicht sagst.«
»Hast du gedacht, sie würde einfach nur auf dich warten?«
»Nein. Hab’ ich nicht.«
Er hatte sie ohne jede Erklärung verlassen, hatte nur gesagt, daß er einen Job erledigen mußte, und war über ein Jahr weggeblieben. Graham hatte sie kontaktiert, ihr irgendwas erzählt und ihren Brief weitergeleitet. Aber Neal brachte es nicht über sich, ihn zu öffnen. Er ließ die Sache lieber sterben, als zu lesen, daß sie sie tötete. Aber sie war nicht diejenige, die sie getötet hatte, dachte er. Sie war diejenige, die den Mut hatte, das Offensichtliche zu schreiben.
Graham ließ nicht locker. »Sie ist ausgezogen.«
»Diane würde nicht bleiben.«
»Sie hat was in der 104. gefunden, zwischen Broadway und West End. Hat eine Mitbewohnerin. Eine Frau.«
»Was hast du getan? Bist du ihr gefolgt?!«
»Natürlich. Ich dachte, du willst das wissen.«
»Danke.«
»Sie steht im Telefonbuch. Wenn du zurück in die Stadt kommst.«
»Was bist du, meine Mutter?«
Graham schüttelte den Kopf und goß sich nach. »So, wie ich es sehe«, sagte er, »ist sie eine Freundin der Familie.«
Neal hätte wirklich nie die Tür öffnen sollen.
2
Sie war schon ansehnlich, diese Lila.
Das war ihr Name oder zumindest der Name, unter dem sie auf Tagungen arbeitete. Neal erfuhr das aus der Akte, die Graham ihm gegeben hatte und der er sich in aller Ruhe auf dem endlosen Flug nach San Francisco widmen konnte. Ein Polaroid, das einer von Pendletons AgriTech-Kumpeln bei einem Essen aufgenommen hatte, war dabei: Pendleton, der mit einer atemberaubenden orientalischen Frau an einem Bankett-Tisch saß. Der Kumpel hatte »Robert und Lila« drauf geschrieben.
Wenn Neal das Foto betrachtete, konnte er es Pendleton nicht übelnehmen, daß er Lila den Bunsenbrennern vorzog. Ihr Gesicht war herzförmig, ihr Haar lang, glatt und glänzend schwarz, links wurde es von einem blauen Kamm zurückgehalten. Sie hatte wunderschöne Mandelaugen, die Pendleton liebevoll ansahen, während er mit seinen Stäbchen kämpfte. Sie lächelte ihn an. Wenn sie eine Professionelle war, dachte Neal, dann eine gute; er mochte
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