Das Licht Von Atlantis
Rathor geschickt, dem alten Eremiten auf dem Sternenberg. Einen Mann wie ihn hätten die Alten einen Heiligen genannt. Seine Weisheit ist so berühmt, dass man selbst hier seinem Namen Ehre erweist. Aber zu jener Zeit wusste ich nur, dass viele ernste und verständige junge Männer als Schüler zu ihm kamen, und manch einer von ihnen brachte mir Süßigkeiten und Spielzeug mit und verwöhnte mich. Während Rathor sie unterrichtete, spielte ich mit einem Kätzchen in den Hügeln. Eines Tages rutschte ich auf einem glatten Fels aus, rollte über den Klippenrand und brach mir den Arm...«
Micon lächelte und rief aus: » Dieses Kind bist du also? Jetzt erinnere ich mich!«
Arvath war ganz in seine Erinnerungen versunken. »Vor Schmerz verlor ich das Bewusstsein, Domaris, und wusste von nichts mehr, bis ich die Augen wieder öffnete und einen jungen Priester neben mir stehen sah, einen von denen, die zu Rathor kamen. Er hob mich hoch, setzte mich auf seine Knie und wischte mir das Blut vom Gesicht. Er schien heilende Kräfte in den Händen zu haben -«
Mit einer ruckartigen Bewegung wandte Micon sich ab. »Genug davon!« stieß er mit erstickter Stimme hervor.
»Nein, ich will alles erzählen, älterer Bruder! Als er mich von Blut und Schmutz säuberte, spürte ich keinen Schmerz, obwohl sich die Knochenenden durch das Fleisch gebohrt hatten. Er sagte: Ich habe nicht genügend Kenntnisse, um mich selbst darum zu kümmern. Dann trug er mich auf seinen Armen in Rathors Haus, denn meine Verletzungen waren so stark, dass ich nicht laufen konnte. Erst fürchtete ich mich vor dem Heiler-Priester, der kam, um den gebrochenen Knochen wieder zu richten. Dann aber hielt mich mein Retter auf seinem Schoß, bis der Knochen bandagiert war. Die ganze Nacht blieb er bei mir, denn ich fieberte und konnte nicht schlafen. Er fütterte mich mit Brot und Milch und Honig, sang mir vor und erzählte mir Geschichten, bis ich den Schmerz vergaß. Ist das etwas so Schreckliches?« fragte er leise. »Fürchtest du, diese Mädchen könnten dich für weibisch halten, weil du gut zu einem kranken Kind warst?«
»Hör auf«, bat Micon wiederum.
Arvath wandte sich ihm zu und betrachtete ihn ungläubig. Der Ausdruck, der in dem dunklen blinden Gesicht lag, besänftigte ihn und er gab nach. »Wie du willst«, sagte er. »Aber ich habe es dir nicht vergessen, mein Bruder, und ich werde es auch nie tun.« Er streifte den Ärmel seiner Priesterrobe zurück und zeigte Domaris eine lange Narbe, die sich gelblich von der sonnengebräunten Haut abhob. »Siehst du, hier hatte sich der Knochen durch das Fleisch gebohrt -«
»Und der junge Priester war tatsächlich Micon?« fragte Deoris.
»Ja. Und er brachte mir Süßigkeiten und Spielsachen, solange ich im Bett lag. Ich habe ihn seit jenem Sommer nicht wiedergesehen.«
»Wie seltsam, dass ihr so weit von zu Hause einander wieder begegnet seid!«
»Nicht ganz so seltsam, kleine Schwester«, erklärte ihr Micon mit seiner wohlklingenden, freundlichen Stimme. »Unsere Geschicke weben ein Muster, und unsere Taten tragen die Früchte, die sie gesät haben. Diejenigen, die sich gefunden und geliebt haben, können nicht getrennt werden. Sehen sie sich nicht in diesem Leben wieder, dann in einem anderen.«
Deoris nahm die Worte ohne Kommentar hin, doch Arvath fragte aggressiv: »Du glaubst also, dass du und ich auf eine solche Weise aneinander gebunden sind?«
Die Spur eines Lächelns spielte um Micons Lippen. »Wer kann es sagen? Als ich dich an jenem Tag von den Felsen aufhob, habe ich vielleicht nur eine Gegenleistung für einen Dienst erbracht, den du mir erwiesest, bevor sich die Hügel dort auffalteten.« Er wies mit belustigtem Blick auf den Tempel hinter ihnen. »Ich bin kein Seher. Frage dein eigenes Wissen, mein Bruder. Vielleicht steht die Verpflichtung noch aus. Die Götter mögen geben, dass wir beide uns ihr wie Männer stellen.«
»Dazu sage ich Amen«, erklärte Arvath ernst. Micons Worte hatten ihn tief bewegt, und so schlug seine Stimmung bei seinem lebhaften Temperament sofort ins Gegenteil um. »Domaris wollte in der Stadt ein paar Einkäufe machen. Sollen wir zum Basar zurückkehren?«
Domaris schrak aus tiefen Gedanken auf. »Männer haben kein Interesse an bunten Stoffen und Bändern«, behauptete sie fröhlich. »Warum bleibt ihr nicht hier am Hafen?«
»Ich wage es nicht, dich in der Stadt aus den Augen zu lassen, Domaris«, sagte Arvath. Domaris warf gereizt den stolzen Kopf
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