Das Licht Von Atlantis
Arme.
»Deoris, sprich mir nach«, befahl sie sanft. Deoris spürte trotz aller Ehrfurcht den heimlichen Drang, sich loszureißen, laut zu lachen und zu schreien, diese heilige Stimmung zu stören. Aber sie schloss nur kurz die Augen.
Domaris' leise Stimme intonierte die Worte; Deoris' Stimme kam als dünnes Echo, ohne die Sicherheit ihrer Schwester...
»Wir beide, Frauen und Schwestern, geloben uns dir,
Mutter des Lebens -
Frau - und mehr als Frau...
Schwester - und mehr als Schwester...
Hier, wo wir stehen in Dunkelheit...
Rufen wir dich an, o Mutter...
Bei deinem eigenen Leid, o Frau...
Bei dem Leben, das wir tragen...
Gemeinsam vor dir, o Mutter, o ewige Frau...
Nun war das goldene Licht im Zimmer dunkel geworden, hatte sich von selbst gelöscht. Sogar der Mondschein verschwand. Der teils entsetzten, teils faszinierten Deoris kam es vor, als stünden sie im Mittelpunkt eines großen und leeren Raums auf dem Nichts. Das ganze Universum war versunken bis auf eine einzige, flackernde Flamme, die wie ein winziges, pulsierendes Auge glühte... War es dieses Feuer hier im Kohlenbecken? Die Widerspiegelung eines größeren Lichts, das sie spüren, aber nicht sehen konnte? Domaris' Arme, die sie immer noch fest umschlossen, waren das einzige Wirkliche, und die Worte, die Domaris leise intonierte, waren wie gesponnene Fasern aus seidenen Tönen, Mantras, die ein silbernes Netz der Magie innerhalb der mystischen Dunkelheit webten...
Die Flamme, was sie auch sein mochte, wurde in hypnotischem Rhythmus heller und dunkler, heller und dunkler.
Möge die Frucht unserer Leiber gebunden sein
An dich, o Mutter, o ewige Frau,
Die du das innerste Leben jeder deiner Töchter
Zwischen den Händen auf ihrem Herzen hältst…
Es folgten Sätze, bei denen Deoris, verängstigt und aufgeregt, ihren Ohren nicht trauen wollte. Dies war das heiligste aller Rituale: Sie gelobten sich der Mutter-Göttin von Inkarnation zu Inkarnation, von Zeitalter zu Zeitalter bis in alle Ewigkeit. Eingeschlossen darin war das kleinere Gelübde, das sie und ihre Kinder unlöslich aneinander band - ein karmischer Knoten, von Leben zu Leben, für immer.
Von ihrem Gefühl hingerissen, ging Deoris mit dem Ritual viel weiter, als ihr bewusst wurde, viel weiter, als sie beabsichtigt hatte - und endlich zeichnete eine unsichtbare Hand sie beide mit einem uralten Siegel. Als Initiierte des ältesten und heiligsten aller Rituale im Tempel und auf der ganzen Welt standen sie nun unter dem Schutz und Siegel der Mutter - nicht Caratras, sondern der Größeren Mutter, der Dunklen Mutter hinter allen Menschen und allen Riten und allem, was erschaffen war. Das schwache Flackern schwoll an und wurde zu großen Flammenschwingen, die sich ausbreiteten und sie mit ihrem Leuchten umfingen.
Die beiden Frauen sanken auf die Knie, warfen sich dann Seite an Seite nieder. Deoris fühlte an ihrem Körper, wie sich das Kind ihrer Schwester bewegte, sie fühlte das erste schwache Regen ihres eigenen ungeborenen Kindes. In einer magischen Zukunftsvision vermittelte sich ihr der Eindruck einer Verkettung, die über dies Leben und diese Zeit hinausging, mehr einbezog als nur diese beiden Ungeborenen.
So seid denn mein von Ewigkeit zu Ewigkeit, solange die Zeit besteht... solange Leben Leben erzeugt. Schwestern und mehr als Schwestern... Frauen und mehr als Frauen... erfahrt dies gemeinsam durch das Zeichen, das ich euch gebe...«
Inzwischen war das Feuer niedergebrannt, und im Zimmer war es sehr dunkel und still. Deoris gewann die Kraft zurück, den Kopf zu heben. Sie sah zu Domaris hinüber - und stellte fest, dass von ihr noch immer ein seltsames Leuchten ausging. Aufs neue von tiefer Ehrfurcht ergriffen, richtete sie den Blick auf ihren eigenen Körper - und auch da sah sie ein sanftes Glühen, das Zeichen der Göttin...
Sie kniete sich hin und blieb so, stumm, betend und staunend. Das sichtbare Leuchten verschwand bald; Deoris war sich nicht mehr sicher, ob sie es überhaupt gesehen hatte. Vielleicht hatte sie mit ihrem durch die Hingabe an das Ritual überhöhten Bewusstsein nur einen Blick auf eine Realität jenseits des Jetzt und ihrer gegenwärtigen Existenz erhascht...
Die Nacht ging ihrem Ende entgegen, als Domaris langsam aus ihrer ekstatischen Trance zurückkam. Mit leisem Stöhnen richtete sie sich vorsichtig auf. Bald würden die Wehen einsetzen, und sie wusste auch, dass sie durch ihre kultische Handlung eher eintreten
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