Das Licht Von Atlantis
Ruhe lassen? Ganz ohne Absicht - Domaris war nur leicht gereizt, nervös und angespannt, aber nie vorsätzlich unfreundlich - traf sie ihre Schwester zuweilen mit einem einzigen achtlosen Wort ins Herz. Nicht immer erkannte sie, was sie angerichtet hatte, und wenn, dann oft erst, wenn es zu spät war.
Inzwischen hatte Elis Lissa genommen, und die Kleine zerrte entschlossen am Kleide ihrer Mutter. »Du kleines, gieriges Mädchen, ich weiß, was du willst. Bin ich froh, dass das nur noch ein paar Monate dauert!« Sie öffnete ihr Gewand und gab Lissa, die nach ihrer Brust griff, einen spielerischen Klaps. »Und dann, du Quälgeist, musst du lernen, wie eine Dame zu essen!«
Deoris wandte in einem Gefühl, das beinahe Abscheu war, die Augen ab. »Wie kannst du das nur ertragen?« fragte sie.
Elis lachte fröhlich und machte sich nicht die Mühe, ihr zu antworten. Denn sie hatte nur im Spaß geklagt, und Deoris' Frage fasste sie gleichfalls als müßigen Scherz auf. Kinder wurden immer zwei volle Jahre lang genährt, und nur eine überarbeitete Sklavin oder eine Prostituierte würde sich einfallen lassen, diese Zeit zu verkürzen.
Elis lehnte sich mit Lissa im Arm zurück und pflückte noch eine Handvoll Beeren. »Du redest genau wie Chedan, Deoris! Manchmal glaube ich, er hasst mein armes Baby! Allerdings -« sie schnitt eine Grimasse und steckte sich eine Beere zwischen die Lippen »- manchmal wenn sie mich beißt , dann frage ich mich, ob er nicht recht hat.«
»Du wirst sie doch erst entwöhnen, wenn sie beginnt, ihre Milchzähne zu verlieren«, bemerkte Ista mit gespielter Wichtigkeit.
Domaris runzelte die Stirn. Sie allein wusste, dass Deoris nicht gescherzt hatte. Lissas Augen waren jetzt in schläfriger Zufriedenheit geschlossen, und ihr Gesicht, umrahmt von sonnenhellen Locken, lag wie eine Blütenknospe an der Brust ihrer Mutter. Domaris fühlte eine schmerzliche Sehnsucht. Elis hob die Augen und begegnete Domaris' Blick. Sie verfügte besonders stark über die Intuition der Priesterkaste und spürte, dass Domaris etwas erlebte, das ihrem eigenen Schicksal ähnlich war. Sie streckte ihrer Cousine die freie Hand hin und drückte leicht die ihre. Domaris erwiderte den Händedruck schnell, dankbar für Elis' Verständnis und Mitgefühl.
»Kleiner Plagegeist«, flüsterte Elis und wiegte das schlafende Kind. »Dickes Elfchen...«
Die Sonne versteckte sich hinter einer Wolkenbank. Deoris und Ista flochten, inzwischen müde geworden, immer noch Blütenstängel zusammen. Plötzlich erschauerte Domaris. Dann erstarrte sie in einem ungläubigen Lauschen. Da war es wieder - irgendwo tief in ihrem Körper, ein schwaches, unbeschreibliches Flattern. Das Gefühl war ihr völlig fremd, und doch war es unmissverständlich. Es war wie das leise Schlagen gefangener Flügel - es kam und ging so schnell, dass sie gar nicht wusste, ob sie wirklich etwas gespürt hatte. Trotzdem war sie sich sicher.
»Was ist los?« fragte Elis leise, und Domaris merkte, dass sie immer noch Elis' Hand hielt. Aber ihre Finger hatten sich verkrampft und quetschten die Hand ihrer Cousine schmerzhaft. Sie zog ihre Hand schnell und entschuldigend zurück. Doch sie sagte kein Wort und ließ die andere Hand auf ihrem Körper liegen, wo das kleine, flüchtige Flattern sich noch einmal regte und dann still war. Domaris war der Atem stehen geblieben, aber nun wurde sie sehr ruhig. Das wohlgehütete Geheimnis war nun Wahrheit, an mehr wollte sie nicht denken. In ihrem Leib war Micons Sohn - sie wagte sich nicht vorzustellen, dass es eine Tochter sein könne - zum Leben erwacht.
Deoris sah ihre Schwester groß und ängstlich an. Dieser Blick war zuviel für die angespannte Domaris. Sie begann zu lachen, erst leise, dann unbeherrscht - sie wollte nicht weinen... Ihr Lachen wurde beinah hysterisch. Sie sprang auf und lief den Hügel hinunter auf die Küste zu. Die drei anderen blickten ihr verwundert nach.
Deoris wollte zu ihr laufen, aber Elis zog sie in einem intuitiven Impuls zurück. »Ich glaube, sie möchte eine Weile allein sein. Hier, halt Lissa für mich, bis ich mein Kleid zugemacht habe.« Sie setzte das Baby auf Deoris' Schoß. Sorgfältig und ohne Eile verschloss sie ihr Kleid. So hatte Deoris Zeit, sich wieder zu beruhigen.
Am Rand der Salzwiesen warf sich Domaris der Länge nach ins hohe Gras und lag dort halb staunend, halb ängstlich, das Gesicht an der duftenden Erde, die Hände auf ihrem Leib. Sie rührte sich nicht. Die langen
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