Das Licht Von Atlantis
toten Vogel aus der Hand und legte ihn beiseite. »Ich habe es ernst gemeint; du kannst so viele Vögel haben, wie du nur möchtest«, versprach sie.
»Oh, mir geht es nicht um den Vogel! Mir geht es um dich!« klagte Deoris, warf die Arme um Domaris und weinte heftiger als zuvor. Domaris hielt sie fest. Sie spürte, dass Deoris' Verbitterung, die es unmöglich gemacht hatte, mit ihr vernünftig zu reden, sich allmählich löste. Vielleicht konnten sie jetzt den Abgrund überbrücken, der seit der Nacht auf dem Sternenfeld zwischen ihnen lag... Doch sie mahnte die Schwester: »Vorsichtig, Deoris. Drück mich nicht zu fest an dich, du tust uns sonst weh -«
Sofort sanken Deoris' Arme nieder, und sie wandte sich wortlos ab.
Domaris streckte bittend die Hand aus. »Deoris, sei doch nicht so, ich habe es nicht so gemeint - Deoris, kann ich denn gar nichts mehr sagen, ohne dich sofort zu verletzen?«
»Du magst mich nicht mehr!« beschuldigte Deoris sie kläglich. »Du brauchst gar nicht so zu tun!«
»Aber Deoris!« Die grauen Augen wurden feucht. »Wie kannst du nur so eifersüchtig sein? Weißt du denn nicht, dass Micon stirbt? Ja, er stirbt! Und ich muss mich zwischen ihn und den Tod stellen!« Wieder legte sie ihre Hände mit jener eigentümlichen Geste schützend auf ihren Leib. »Bis unser Sohn geboren ist -«
Sogleich nahm Deoris ihre Schwester liebevoll in die Arme, schmiegte sich an sie, tat alles, um ihren schrecklichen Kummer zu lindern. Ihr Selbstmitleid verschwand, und zum erstenmal in ihrem Leben nahm sie teil an einem Leid, das nicht nur sie selbst betraf. Sie versuchte Domaris zu trösten, obwohl ihr klar war, dass es keinen Trost geben konnte, sie sprach Worte der Hoffnung aus und wusste genau, dass sie nie wahr werden würden... ja, sie vergaß all ihren Trotz und ihre Widerspenstigkeit angesichts der Tragödie ihrer Schwester.
10. ENTSCHLOSSENE MÄNNER
Riveda teilte Rajasta mit einer Bestimmtheit, die keinen Widerspruch duldete, mit, dass er Ordnung in seinem Haus geschaffen habe. Rajasta beglückwünschte ihn zu der erfolgreich abgeschlossenen Arbeit. Der Adept verbeugte sich und ging fort, ein kleines spöttisches Lächeln in seinen schwerlidrigen Augen.
Die Nachforschungen, ob Mitglieder seines Ordens insgeheim verbotene Zauberpraktiken ausübten, hatten ein halbes Jahr gedauert. Das Ergebnis war ein rundes Dutzend Auspeitschungen für verhältnismäßig geringfügige blasphemische Akte und Übertretungen: Missbrauch heiliger Gegenstände, Tragen oder Zurschaustellung verfemter Symbole und ähnliche Vergehen. Es hatte auch zwei ernste Fälle gegeben, und es blieb unklar, ob zwischen ihnen ein Zusammenhang bestand oder nicht. Die darin verwickelten Adepten geringeren Grades waren ausgepeitscht und aus der Graumantel-Sekte verstoßen worden. Einer von ihnen hatte ansonsten untadelige Neophyten und saji mit bestimmten alchimistischen Tränken dazu gebracht, an sexuellen Orgien von außergewöhnlicher Grausamkeit teilzunehmen, an die sich die Opfer hinterher nicht einmal mehr erinnern konnten. In dem anderen Fall hatte der Schuldige einen verschlossenen Schrank in der Privatbibliothek des Ordens erbrochen und Schriftrollen gestohlen. Das allein wäre schon schlimm genug gewesen, aber es stellte sich heraus, dass der Mann auch noch Kulturen von Krankheitserregern in seinen Räumen gezüchtet hatte. Die Entgiftungsmaßnahmen waren noch im Gange, und bisher stand zu hoffen, dass sie Erfolg haben würden.
All das hatte natürlich die bisher Unentdeckten gewarnt, dass Riveda von ihrer Existenz wusste, und so würden sie es in Zukunft wesentlich schwerer haben.
Riveda selbst hatte, gewissermaßen als Belohnung, bei seinen Nachforschungen ein neues Experimentierfeld mit ungeheuren Möglichkeiten entdeckt, und er beabsichtigte, sie zu erproben. Der Schlüssel dazu war der Fremdling, den er als Chela angenommen hatte. Unter Hypnose hatte er seltsame Kenntnisse und noch seltsamere Kräfte enthüllt. Allerdings war es ohne Hypnose nicht möglich, die Apathie des Unbekannten zu erschüttern. Er existierte (man konnte nicht sagen, er lebte) wie unter einem dunklen Glassturz, über den alle Ereignisse wie Schattenbilder hinzogen und seine Aufmerksamkeit nur für kurze Augenblicke fesselten. Sein Geist war verschlossen, wie gelähmt von entsetzlichen schmachvollen Erlebnissen. Ganz selten begann er plötzlich zu toben und dann sprudelten Worte aus ihm heraus, die eine mehr als merkwürdige Bedeutung hatten
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