Das Licht Von Atlantis
und Riveda manchmal Hinweise auf sonderbare Dinge gaben - ein ungeheures, geheimnisvolles Wissen, das Riveda selbst nur für kurze Augenblicke zu erhaschen vermochte, war in dem scheinbar gestörten Geist verborgen.
Ob der Mann Micons Bruder war, wusste Riveda nicht, und es war ihm auch gleichgültig. Er war der ehrlichen Überzeugung, jeder Versuch, sie miteinander zu konfrontieren, würde beiden nur schaden. So verzichtete er darauf, dem Chela Fragen nach seiner Herkunft oder dem Geheimnis seines Auftauchens im Grauen Tempel zu stellen.
Was Riveda jedoch nicht vergaß, war, Micon genau zu beobachten. Er tat allerdings nichts, was für einen Magier unter den Priestern des Lichts auffällig gewesen wäre; er hielt sich am Rande von Micons Bekanntenkreis auf und studierte sie alle eingehend. Riveda erkannte sehr bald, dass für Domaris die ganze Welt, Micon ausgenommen, aufgehört hatte zu existieren. Ebenso bemerkte er, welche Vorrangstellung der blinde Initiierte inzwischen in Rajastas Gedanken einnahm. Die beiden hatten eine Beziehung, die über die von Priesterkollegen weit hinausging und manchmal fast ein Vater-Sohn-Verhältnis war. Etwas weniger vorsichtig behielt der Adept Deoris im Auge.
Riveda war nicht oft mit Rajasta einer Meinung, doch beide spürten, dass in dem jungen Mädchen große Begabungen schlummerten. Zur Frau herangewachsen, mochte Deoris bei entsprechender Unterweisung außerordentliche Kräfte entfalten. Lange Zeit hatte Riveda über die Frage meditiert, welches Potential er in ihr sah, aber er konnte es nicht genau erkennen - vielleicht deshalb, weil ihre Fähigkeiten vielfältig und unterschiedlich waren.
Deoris schien, nach den Beobachtungen Rivedas, ebenso Micons Schülerin wie seine Skriptorin zu sein. Das erregte den Zorn des Adepten, es war ihm, als ob Micon sich ein Vorrecht anmaße, das allein ihm zustand. Er fand die unpersönliche und zurückhaltende Art, in der der Atlanter die Gedanken des Mädchens lenkte, unsicher, übervorsichtig und ungeschickt. Seiner Meinung nach hielt man Deoris von vielem zurück, was man ihr hätte erlauben, ja wozu man sie sogar hätte zwingen sollen, um ihr Gelegenheit zu geben, sich neuen Dingen gegenüber zu öffnen und sich weiter zu entfalten.
Gleichmütig, doch belustigt beobachtete er ihr wachsendes Interesse für ihn, und noch mehr amüsierte ihn der kindische und stürmische Fortschritt ihrer Beziehung zu Chedan, dem Akoluthen, der der Verlobte von Elis war. Der Tempelklatsch (gegen den Riveda nicht so taub war, wie er vorzugeben versuchte) beschäftigte sich oft mit den Spannungen zwischen Elis und Chedan...
Chedans Bemühungen um Deoris mochten anfangs nichts weiter als ein Versuch gewesen sein, Elis zu ärgern. Auf jeden Fall war jetzt etwas Ernsteres daraus geworden. Ob Deoris sich wirklich etwas aus Chedan machte oder nicht - nicht einmal Domaris wusste es genau -, sie nahm jedenfalls seine Aufmerksamkeiten mit einer Art schnippischen Vergnügens entgegen. Micon und Domaris waren froh über diese neue Entwicklung, denn sie glaubten, Deoris werde dadurch einiges Verständnis für ihre Lage gewinnen und sich nicht länger feindselig gegen ihre Liebe stellen.
Eines Vormittags entdeckte Riveda sie in einem der Gärten. Deoris saß auf dem Rasen zu Micons Füßen und ordnete ihre Schreibgeräte. Chedan, ein schlanker, braunäugiger Bursche in der Robe eines Akoluthen, beugte sich lächelnd über sie. Riveda war zu weit entfernt, um ihre Worte verstehen zu können. Aber die beiden Kinder - mehr waren sie, besonders in Rivedas Augen, kaum - waren wegen irgend etwas uneins. Deoris sprang entrüstet auf, Chedan floh in gespieltem Entsetzen, und Deoris lief ihm lachend nach.
Micon hörte Rivedas sich nähernde Schritte, hob den Kopf und streckte ihm zur Begrüßung die Hand entgegen - aber er stand nicht auf, und Riveda war erschüttert von dem Ausdruck qualvollen Schmerzes im Gesicht des blinden Initiierten. Wie immer überspielte er sein Mitlied mit spöttischer Ehrerbietung und maskierte so seine tiefsten Gefühle.
»Heil, Prinz von Ahtarrath! Sind deine Schüler weggelaufen, weil dein Unterricht sie überklug gemacht hat? Oder hältst du eine Birkenrute für deine Neophyten bereit?«
Micon spürte den Sarkasmus und war entrüstet. Er hatte sich ehrlich bemüht, sein anfängliches Misstrauen gegen Riveda zu überwinden, und es quälte ihn, dass es ihm nicht gelungen war, besser mit ihm auszukommen. Oberflächlich betrachtet, war Riveda
Weitere Kostenlose Bücher