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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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jedem in ihrer Umgebung zu misstrauen. Sie brauchte Verbündete, brauchte Freunde, wenn die Suche nach Kamal Erfolg haben sollte. Selbst von Hingis, der ihr stets ein treuer Begleiter gewesen war, schien sie sich zu distanzieren ...
    Das durfte nicht geschehen!
    Sarah durfte nicht zulassen, dass das Chaos, das in ihr herrschte, sie überall nur noch Feinde sehen ließ. Wenn sie jedem misstraute, würde sie bald völlig allein und isoliert sein, und dann hatte die Bruderschaft auf jeden Fall gewonnen. Vielleicht, dachte Sarah schaudernd, war es das sogar gewesen, was ihre Gegner insgeheim beabsichtigt hatten. Die Anhänger des Einen Auges, das hatte Sarah erfahren, waren selbst von Misstrauen und Argwohn zerfressen. Hatte man diesen Pfad erst einmal eingeschlagen, gab es keinen Weg mehr zurück, und Sarah begann zu verstehen, was du Gard und der alte Ammon gemeint hatten, als sie sagten, dass sie den Weg des Lichts beschreiten solle.
    Das Licht bedeutete Liebe -
    Zuneigung.
    Vertrauen.
    Wer diesen Weg einschlug, der suchte nicht nach seinen Feinden, sondern war von Verbündeten umgeben ...
    In einem jähen Entschluss schwang sich Sarah aus dem Bett, zog ihren Mantel über das Nachtgewand und schlüpfte in ihre Stiefel. Auch auf die Gefahr hin, dass es unanständig wirkte, wenn eine ledige Frau des Nachts das Quartier eines alleinstehenden Mannes aufsuchte, verspürte sie das dringende Bedürfnis, Friedrich Hingis um Verzeihung zu bitten. Nur seinem Verhandlungsgeschick und seinem persönlichen Einsatz war es zu verdanken, dass sie so rasch eine Überfahrt auf die Krim bekommen hatten. Und wie hatte sie es ihm gedankt? Indem sie ihren Gastgeber, bei dem Hingis unter Aufbietung seines guten Namens für sie gebürgt hatte, mit Worten attackierte. Ihr Verhalten tat ihr leid, und sie wollte sich bei ihm entschuldigen. Vorausgesetzt, er hatte überhaupt noch ein Ohr für sie.
    Sie griff nach einem Schal und bedeckte damit ihr Haar. Dann öffnete sie die Tür der Kabine und trat nach draußen.
    Es war eine kalte und neblige Aprilnacht.
    Am frühen Abend hatte der Regen, der seit den Morgenstunden angedauert hatte, endlich ausgesetzt, aber die klamme Feuchtigkeit hing noch in der Luft und schien in jede Ritze zu kriechen. Sarahs Atem schlug sich als weißer Dampf nieder. Sie fröstelte und schlug den Kragen ihres Mantels hoch, ehe sie den Mittelgang hinabschritt. Hingis' Kabine befand sich auf der anderen, dem Hafen zugewandten Seite des Schiffes.
    Ihre Schritte klangen dumpf auf den hölzernen Planken, und sie hörte das Plätschern der Wellen, die leise gegen den Schiffsrumpf schlugen. Und noch ein Geräusch vernahm Sarah in der dunklen und nebligen Nacht: Stimmen, die sich leise miteinander unterhielten ...
    Instinktiv dämpfte sie ihre Schritte und lauschte. Es waren zwei Männer. Da sie Russisch sprachen, verstand Sarah nicht, was sie sagten, aber sie erkannte ihre Stimmen. Die eine gehörte Kapitän Terzow, die andere Igor, Abramowitschs unheimlichem Diener.
    Sarah hatte das Gefühl, dass es besser war, wenn die beiden sie nicht sahen. Lautlos schlich sie weiter und erreichte das Ende des Mittelgangs. Die Backbordseite des Schiffes lag in Dunkelheit. Nur schemenhaft zeichneten sich die Häuser und Türme Varnas am Ufer ab, die Gaslaternen entlang der Kais waren lediglich als verschwommene, schmutzig gelbe Flecke auszumachen, die kaum Licht spendeten. Zudem waren die Deckslaternen an Bord der ›Strela‹ gelöscht worden - gab es dafür einen Grund?
    Sarah wollte eben zur Tür von Hingis' Kabine huschen, als zwei Schatten die Promenade herunterkamen.
    Terzow und Igor.
    Noch immer unterhielten sie sich, und noch immer konnte Sarah kein Wort verstehen. Aber die Art und Weise, wie die beiden ihre Stimmen senkten und die Köpfe zusammensteckten, gefiel ihr nicht. Die Russen führten etwas im Schilde, daran hegte Sarah keinen Zweifel - oder sah sie einmal mehr Feinde, wo gar keine waren?
    Von ihrem Platz am Ende des Mittelgangs aus konnte sie nicht gesehen werden. Sich in den Schutz einer Säule pressend, wartete sie ab und beobachtete die beiden. Abramowitschs Diener schien wegen irgendetwas aufgebracht, der Kapitän ihn zu beschwichtigen. Worum es ging, konnte Sarah nicht einmal erahnen. Im nächsten Moment jedoch bekam sie einen Hinweis.
    Ein verhaltener Ruf drang vom Ufer her, der die beiden an die Reling eilen ließ. Auch Sarah wagte sich ein Stück aus ihrem Versteck, um hinabzuspähen. Ein einzelner Mann, der einen

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