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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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dadurch ihre Mündigkeit nahmen; Abramowitsch jedoch war nicht nur unhöflich, sondern obendrein noch ein Chauvinist.
    »Sagen Sie, Lady Kincaid«, verlangte er paffend zu wissen, »wie hat Ihnen Istanbul gefallen? Ist es nicht eine erstaunliche Stadt? Gerade für eine junge Frau?«
    Sarah schaute von ihrer Kaffeetasse auf. An den Seiten des Tischs hatten wie an jedem Abend Friedrich Hingis sowie Kapitän Terzow und seine beiden Offiziere Platz genommen. Abramowitsch saß ihr am anderen Ende der Tafel gegenüber. Sein schweigsamer Diener, der auf den Namen Igor hörte und ihm zu folgen pflegte wie ein Schatten, stand einige Schritte hinter ihm.
    »Wie darf ich Ihre Frage verstehen, werter Herr Abramowitsch?«, erkundigte sich Sarah. Da sich der Russe beharrlich weigerte, sich der englischen Sprache zu bedienen, obwohl er sie fraglos beherrschte, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihre Deutschkenntnisse zu bemühen.
    »Nun, soweit ich weiß, ist es bei den Osmanen durchaus üblich, auch Frauen aus westlichen Kulturkreisen in ihren Harem aufzunehmen«, gab der Russe zur Antwort, »zumal, wenn sie von der Natur so überaus reich bedacht wurden und darüber hinaus noch so gebildet sind wie Sie.«
    »Ich danke Ihnen für das Kompliment«, entgegnete Sarah kühl. »Was Ihre Vorstellung von den Osmanen betrifft, muss ich Sie jedoch korrigieren. Auch wenn dies in Europa gerne kolportiert wird, ist die Vielehe unter den Türken eher die Ausnahme denn die Regel. Vielleicht sollten Sie auf Ihren Reisen hin und wieder die Geschäfte ruhen lassen und sich stattdessen die Leute, denen Sie Ihre Waren verkaufen, ein wenig genauer ansehen.«
    »Touché.« Abramowitsch lachte laut und ausladend. »Ich muss zugeben, Sie machen Friedrichs Schilderung alle Ehre.«
    »Tatsächlich?« Sarah streifte Hingis mit einem Seitenblick. Sie hatte nicht gewusst, dass er und ihr Gastgeber sich bereits beim Vornamen nannten. »Was hat er Ihnen über mich erzählt?«
    »Dass Sie eine außergewöhnliche Persönlichkeit seien. Und dass Sie sich durch nichts und niemanden von Ihren Zielen abbringen ließen.«
    »Das ist richtig«, stimmte Sarah zu.
    »Und er sagte auch, dass Sie eine Patriotin und Ihrem Land treu ergeben seien.«
    »Ist das nicht jeder?«, fragte Sarah.
    »Gewiss, gewiss«, bejahte der Russe und blies genüsslich blauen Rauch durch die Nase, »aber in Ihrem Fall scheint mir dies doch besonders bemerkenswert.«
    »Inwiefern?«
    »Ihr Adelstitel stammt von Ihrem Vater, nicht wahr?«, erkundigte sich Abramowitsch. »Er wurde ihm von Königin Viktoria für besondere Verdienste um das Empire verliehen.«
    »Wissenschaftliche Verdienste«, betonte Sarah. »Gardiner Kincaid war kein General, falls Sie dergleichen vermuten sollten.«
    »Keineswegs - ich weiß, dass Ihr Vater Archäologe war und seine Meriten rein wissenschaftlicher Natur. Die Privilegien, die ihm dafür verliehen wurden, sind jedoch dieselben, als wenn er ein Kriegsheld gewesen wäre - und sie sind zeitlich begrenzt.«
    »Wie die meisten Adelstitel«, stimmte Sarah zu. »Da ich kein männlicher Erbe bin und Gardiner Kincaid keinen Sohn hinterließ, ist der Titel faktisch bereits erloschen, wenn Sie verstehen. Ich trage ihn gewissermaßen nur noch ehrenhalber.«
    »Natürlich verstehe ich das.« Der Russe nickte. »Auf diese Weise wird der Kreis der Privilegierten klein gehalten, wie es sein sollte. Aber natürlich würden Sie Ihrer Familie gerne den Titel sichern.«
    »Offen gestanden«, erwiderte Sarah, »ist es mir gleichgültig, ob ich einen Titel trage oder nicht. Ich habe Menschen von Adel kennengelernt, deren charakterliche Eigenschaften ebenso mangelhaft waren wie ihre Bildung und die glaubten, Klugheit durch Geld ersetzen zu können. Und ich traf andere«, fügte sie im Hinblick auf el- Hakim zu, der in diesem Moment zwei Decks tiefer hockte und an einem Stück Schiffszwieback kaute, »deren Adel sich nicht in Titeln oder Privilegien ausdrückt und dennoch unstrittig ist.«
    »Ein schöner Gedanke«, erkannte Abramowitsch an. »Dennoch muss die Macht im Staat im Besitz von wenigen bleiben, sonst herrscht der Pöbel auf den Straßen.«
    »So etwas nennt man Demokratie«, konterte Sarah.
    »So etwas nennt man Chaos«, widersprach der Russe. »Ihr Briten sprecht gerne von Gleichheit und Demokratie, doch man braucht sich euer Land nur aus der Nähe anzuschauen, um zu wissen, wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinander liegen. Während sich im Londoner Westen die Reichen

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