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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Stambul erworben habe: Sekundärschriften über die Skythen und ihr Reich. Je mehr ich jedoch über jenes geheimnisvolle Reitervolk erfahre, desto deutlicher geht mir auf, wie wenig wir im Grunde darüber wissen. Hatten die Skythen tatsächlich Kontakt zu den Arimaspen? Haben die Einäugigen tatsächlich einen Berg aus Gold gehütet? Ist jener Berg, wie el-Hakim vermutet, tatsächlich gleichbedeutend mit dem Meru, der axis mundi? Und war es tatsächlich jene Weltenachse, die auch Alexander finden wollte, als er zu seinem Feldzug nach Osten aufbrach?
    So viele Fragen, und egal, wie viel Wissen ich mir auch anzueignen suche - ich werde keine Antworten finden. Denn einmal mehr haben wir die Lehre der reinen Wissenschaft verlassen und bewegen uns entlang der Grenze, die zwischen Geschichte und Mythos verläuft. Oder haben wir sie bereits überschritten?
    Ich bin glücklich und froh darüber, dass el-Hakim bei mir ist, dessen ruhige Gelassenheit sich einmal mehr als Fels in der Brandung erweist. Wann auch immer ich die Übersicht zu verlieren drohe oder die Sorge um meinen geliebten Kamal mich in tiefe Verzweiflung stürzen will, suche ich das Quartier des Meisters auf und finde Trost in seinen Worten. Der junge Ufuk, der niemals von Ammons Seite weicht, ist darüber auch mir ein teurer Begleiter geworden, den ich ins Herz geschlossen habe, als wäre er mein Bruder.
    Während der Mahlzeiten, die gemeinsam im Salon des Schiffes eingenommen werden, kommt es zu immer eifrigeren politischen Diskussionen. Anders als zu Beginn unserer Reise lasse ich mich von unserem Gastgeber jedoch nicht mehr ohne Weiteres provozieren, sondern spiele nun meinerseits ein kleines Spiel mit ihm. Denn jener sonderbaren Beobachtung eingedenk, die ich des Nachts in Varna gemacht habe, versuche ich Abramowitsch aus der Reserve zu locken und zu der einen oder anderen unvorsichtigen Bemerkung zu veranlassen, seine Ziele und wahren Motivationen betreffend. Zwar ist mir dies bislang noch nicht gelungen, doch kann ich zumindest sagen, dass mir dieses intellektuelle Spiel einige Kurzweil bereitet ...
     
    A N B ORD DER ›S TRELA ‹
    10. A PRIL 1885
     
    »Nein, nein und nochmals nein!«
    Wie ein Fallbeil krachte Viktor Abramowitschs rechte Hand gleich mehrmals hintereinander auf den Tisch, als gelte es, jede anders lautende Meinung kurzerhand zu erschlagen.
    »Sie können die Lage unserer slawischen Brüder auf dem Balkan doch nicht mit der von kulturlosen Wilden in den schwärzesten Winkeln Afrikas vergleichen!«
    »Die Menschen in jenen Regionen sind keineswegs kulturlos, Herr Abramowitsch«, konterte Sarah, die dem Russen einmal mehr an der Tafel gegenübersaß. Das Abendessen war beendet, und der fast schon zur Tagesroutine gehörende Schlagabtausch hatte begonnen. »Es ist nur so, dass wir den Kulturbegriff anders definieren, als Sie es tun.«
    »Ach, kommen Sie.« Abramowitsch fuchtelte mit der Zigarre herum, dass ihr glühendes Ende ein wildes Zickzackmuster in die Luft zeichnete. »Was versuchen Sie mir weiszumachen, Lady Kincaid? Dass Sie Mitleid mit diesen Wilden hätten? Oder gar Verständnis?«
    »Verständnis«, bekräftigte Sarah. »Mitleid ist nur dort vonnöten, wo die Kolonialmächte in das Leben dieser Menschen eingedrungen sind, um es zum vermeintlich Besseren zu ändern.«
    »Nanu?« Der Russe verengte kritisch die Augen. »Höre ich da eine Spur von Reue?«
    »Bereuen kann man nur Dinge, die man als Individuum zu verantworten hat«, wich Sarah aus. »Aber wenn Sie wissen möchten, ob ich diese Entwicklung bedaure, dann muss ich Ihre Frage bejahen. Durch die Forschungstätigkeit Gardiner Kincaids hatte ich das Privileg, bereits in jungen Jahren die Welt zu bereisen und viele Dinge zu sehen, die anderen ein Leben lang verborgen bleiben. Und wenn mich diese Erfahrungen eines gelehrt haben, dann, dass es keinen Sinn hat, anderen Völkern die eigene Kultur aufdrängen zu wollen.«
    »Einverstanden.« Abramowitsch klemmte sich die Zigarre zwischen die Zähne und klatschte Beifall. »Da sind wir ausnahmsweise einer Meinung. Ihre Regierung hätte darauf verzichten sollen, ihr Einflussgebiet nach Süden auszudehnen, und das schon vor langer Zeit.«
    »Vielleicht«, gab Sarah lächelnd zu. »Aber da Sie die Problematik unseres Handelns so glasklar zu durchschauen scheinen, verstehe ich erst recht nicht, weshalb es erklärtes Ziel der zaristischen Politik ist, ihrerseits nach Süden zu expandieren.«
    »Ich sagte es Ihnen schon«, erwiderte

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