Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
das wässrige Blut von der durchscheinenden Gesichtshaut des Babys zu wischen. Das Baby schien weiter zu beten und war offenbar in ein geheimes Gespräch mit Gott vertieft, als sie den Waschlappen im warmen Wasser ausspülte. Sie wrang ihn aus und beobachtete das Baby eindringlich, vielleicht in der Hoffnung, dass die Augenlider flattern oder die winzigen Finger zucken könnten.
»Izz«, sagte Tom leise und berührte ihr Haar. »Du musst jetzt auf mich hören. Ich koche dir einen Tee mit viel Zucker und möchte, dass du ihn mir zuliebe trinkst, einverstanden? Dann decke ich dich zu und mache hier ein wenig sauber. Du gehst nirgendwo hin und lässt dich von mir pflegen. Keine Widerrede. Außerdem gebe ich dir Morphiumtabletten gegen die Schmerzen und Eisentabletten, die du nehmen wirst, um mir eine Freude zu machen.« Seine Stimme war ruhig und leise und stellte lediglich Tatsachen fest.
Doch Isabel war in ihr Ritual versunken und reinigte weiter das tote Baby, dessen Nabelschnur noch mit der auf dem Boden liegenden Nachgeburt verbunden war. Als Tom ihr eine Decke über die Schultern legte, hob sie kaum den Kopf. Er kehrte mit einem Eimer und einem Lappen zurück und fing an, das Blut aufzuwischen.
Isabel tauchte die Leiche in die Wanne, um sie zu baden, wobei sie darauf achtete, dass das Gesicht nicht unter Wasser geriet. Dann trocknete sie das tote Baby mit dem Handtuch ab und wickelte es mit der Nachgeburt in ein anderes, dass es verschnürt war wie ein Paket.
»Tom, breitest du das Laken auf dem Tisch aus?«
Er schob die Kuchendose beiseite und arrangierte das zur Hälfte gefaltete bestickte Laken auf der Tischplatte. Isabel reichte ihm das Bündel. »Leg ihn darauf«, sagte sie, worauf er das tote Baby auf das Laken bettete.
»Und jetzt müssen wir uns um dich kümmern«, verkündete Tom. »Es ist noch heißes Wasser da. Komm, wir waschen dich. Stütz dich auf mich. Ganz, ganz langsam. Immer mit der Ruhe.« Auf dem Weg von der Küche ins Bad zog sie eine Spur aus dicken roten Tropfen hinter sich her. Diesmal war er es, der ihr Gesicht mit einem Waschlappen abtupfte, diesen im Becken ausspülte und wieder von vorn anfing.
Eine Stunde später lag Isabel in einem sauberen Nachthemd und das Haar zu einem Zopf geflochten im Bett. Als Tom ihr Gesicht streichelte, gab sie sich schließlich der Erschöpfung und dem Morphium geschlagen. In der Küche beendete Tom die Reinigungsarbeiten und weichte die schmutzige Wäsche im Wäschezuber ein. Als es dunkel wurde, setzte er sich an den Tisch, zündete die Lampe an und sprach ein Gebet für das tote Baby. Die gewaltige Weite, die winzige Leiche, die Ewigkeit und die Uhr, die das Vergehen der Zeit anmahnte, all das ergab noch weniger Sinn als in Ägypten oder in Frankreich. Er hatte so viele Menschen sterben gesehen. Doch dieser stille Tod war etwas anderes: Er fühlte sich, als blicke er ihm, nun, da Schüsse und Geschrei fehlten, zum ersten Mal ins unverhüllte Angesicht. Die Männer, die er an die Grenze des Lebens begleitet hatte, würden von einer Mutter betrauert werden. Aber auf dem Schlachtfeld waren die geliebten Angehörigen so weit fort, dass sie sich der Vorstellungskraft entzogen. Mitzuerleben, wie ein Kind im Augenblick der Geburt seiner Mutter entrissen wurde – der einzigen Frau auf der Welt, die Tom etwas bedeutete –, löste einen viel entsetzlicheren Schmerz aus. Er betrachtete die Schatten, die das Baby warf. Daneben stand der mit einem Tuch bedeckte Kuchen wie ein verhüllter Zwilling.
»Noch nicht, Tom, ich sage es ihnen, wenn ich bereit dazu bin«, beharrte Isabel am folgenden Tag. Sie hütete noch immer das Bett.
»Aber deine Mum und dein Dad werden es wissen wollen. Sie erwarten, dass du mit dem nächsten Boot nach Hause kommst. Sie erwarten ihr erstes Enkelkind.«
Isabel sah ihn hilflos an. »Genau! Sie erwarten ihr erstes Enkelkind, und ich habe es verloren.«
»Sie werden sich Sorgen um dich machen, Izz.«
»Warum sie also aufregen? Bitte, Tom. Es ist unsere Angelegenheit. Meine Angelegenheit. Wir brauchen es nicht überall herumzuposaunen. Sollen sie noch ein wenig weiterträumen. Ich schicke ihnen einen Brief, wenn im Juni das Schiff kommt.«
»Aber bis dahin dauert es Wochen!«
»Tom, ich kann einfach nicht.« Eine Träne fiel auf ihr Nachthemd. »Wenigstens sind ihnen so noch ein paar glückliche Tage vergönnt …«
Also hatte er nachgegeben und das Protokollbuch schweigen lassen.
Doch das war etwas anderes gewesen, eine
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