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Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. L. Stedman
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Privatsache. Die Ankunft der Jolle ließ ihm keinen solchen Spielraum. Zuerst vermerkte er den Dampfer, den er am Morgen gesichtet hatte, die Manchester Queen mit Kurs auf Kapstadt. Anschließend notierte er die ruhigen Wetterbedingungen und die Temperatur und legte dann den Stift weg. Morgen. Er würde die ganze Geschichte vom Eintreffen des Boots morgen erzählen, sobald er die Morsezeichen abgesetzt hatte. Kurz überlegte er, ob er Platz freilassen und die Lücke später ausfüllen sollte oder ob es das Beste sei, einfach zu behaupten, das Boot sei erst später erschienen. Er entschied sich für die Lücke. Am Morgen würde er morsen und sagen, sie seien mit dem Baby zu beschäftigt gewesen, um früher Kontakt aufzunehmen. Im Protokollbuch würde die Wahrheit stehen, wenn auch mit einem Tag Verzögerung. Er sah sein eigenes Spiegelbild in der Scheibe über der »Leuchtturm-Verordnung, Stand: 1911« und erkannte im ersten Moment das Gesicht nicht.
    »Ich bin nicht unbedingt ein Fachmann auf diesem Gebiet«, sagte Tom am Nachmittag nach der Ankunft des Babys zu Isabel.
    »Und du wirst auch nie einer werden, wenn du stocksteif herumstehst. Ich möchte bloß, dass du sie kurz hältst, während ich nachschaue, ob das Fläschchen warm genug ist. Mach schon, sie beißt nicht«, erwiderte sie und lächelte. »Zumindest noch nicht.«
    Obwohl das Baby kaum so lang war wie Toms Arm, griff er danach wie nach einem Oktopus.
    »Hör doch mal auf zu zappeln«, befahl Isabel und brachte seine Arme in die richtige Position. »Gut, und jetzt bleib so … und nun …« Sie gab ihm das Baby zurück. »In den nächsten zwei Minuten gehört sie dir.« Isabel ging in die Küche.
    Zum ersten Mal im Leben war Tom mit einem Baby allein. Er verharrte in Habachtstellung, voller Angst, die Musterung nicht zu bestehen. Das Kind fing an zu strampeln und ruderte so heftig mit Armen und Beinen, dass es Tom in die Bredouille brachte.
    »Ganz ruhig! Hab doch ein bisschen Gnade mit einem armen Mann«, flehte er, während er sich abmühte, damit das Baby ihm nicht aus den Händen rutschte.
    »Vergiss nicht, das Köpfchen zu stützen«, rief Isabel. Sofort schob er die Hand unter den Hinterkopf des Babys und stellte fest, wie winzig er ihm in der Handfläche lag. Als das Kind sich wieder wand, wiegte er es sanft. »Komm schon, sei kein Spielverderber. Sei brav zu deinem Onkel Tom.«
    Als das Baby ihn anblinzelte und ihm direkt in die Augen sah, wurde Tom plötzlich von einem fast körperlichen Schmerz ergriffen. Die Kleine eröffnete ihm einen Einblick in eine Welt, die er nun sicher niemals kennenlernen würde.
    Isabel kehrte mit dem Fläschchen zurück. »Hier.« Sie drückte es Tom in die Hand, führte es an den Mund des Babys und zeigte ihm, wie man vorsichtig seine Lippen anstupste, bis es zu saugen begann. Tom war fasziniert davon, wie der Vorgang sich entwickelte. Allein die Tatsache, dass das Baby keine Ansprüche an ihn stellte, weckte in ihm eine Ehrfurcht, die sein Verständnis überstieg.
    Als Tom wieder in den Leuchtturm ging, machte Isabel sich in der Küche zu schaffen und bereitete das Abendessen vor, während das Baby schlief. Sobald sie ein Weinen hörte, eilte sie ins Kinderzimmer und nahm es aus der Wiege. Das Baby war unruhig, drückte wieder das Gesicht an Isabels Bluse und begann, an dem dünnen Baumwollstoff zu saugen.
    »Oh, mein Schatz, hast du etwa schon wieder Hunger? In dem Buch des alten Doc Griffith steht, dass man aufpassen muss, dir nicht zu viel zu geben. Aber vielleicht noch ein Tröpfchen …« Sie wärmte ein wenig Milch auf und bot dem Baby das Fläschchen an. Doch diesmal wandte das Kind den Kopf vom Sauger ab und griff weinend nach der einladend warmen Brustwarze, die durch den Stoff seine Wange berührte.
    »Komm schon, hier ist dein Fläschchen, mein Liebes«, flötete Isabel, aber das Baby ruderte immer verzweifelter mit Armen und Beinen und presste sich an Isabels Brust.
    Isabel erinnerte sich an den scharfen Schmerz beim Milcheinschuss, der ihre Brüste hatte schwer und wund werden lassen, ohne dass ein Baby daran gesaugt hätte. Es war ihr wie eine besonders grausame Laune der Natur erschienen. Und nun sehnte sich dieses Baby nach ihrer Milch oder vielleicht auch nur nach Trost, nachdem die Gefahr des Verhungerns gebannt war. Lange Zeit hielt sie inne, und das Weinen, die Sehnsucht und der Verlust wirbelten in ihren Gedanken durcheinander. »Ach, du kleiner Liebling«, murmelte sie schließlich und

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