Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. L. Stedman
Vom Netzwerk:
siebten Monat, weshalb Toms frühere Erfahrungen hier nichts nutzten. »Sag mir, was ich tun soll, Izz. Was soll ich tun?«
    Sie nestelte an ihrer Kleidung und versuchte, den Schlüpfer auszuziehen.
    Tom hob ihre Hüften an und streifte ihn ihr über die Knöchel, während sie sich hin- und herwand und ihre Schreie über die Insel hallten.
    Die Wehen dauerten nicht lang, kamen aber zu früh. Hilflos musste Tom zusehen, wie das Baby – und es war eindeutig ein Baby, sein Baby – aus Isabels Körper glitt. Es war klein und blutverschmiert: ein grausiges Modell des Kindes, auf das sie so lange gewartet hatten, überflutet mit Blut, Gewebe und Schleim der Frau, die so gar nicht auf seine Ankunft vorbereitet gewesen war.
    Es maß von Kopf bis Fuß etwa dreißig Zentimeter und war nicht schwerer als ein Sack Zucker. Außerdem bewegte es sich nicht; es gab keinen Mucks von sich. Hin und her gerissen zwischen Ehrfurcht und Entsetzen, hielt Tom es in den Händen und wusste nicht, was er tun oder fühlen sollte.
    »Gib es mir!«, schrie Isabel. »Gib mir mein Baby! Ich will es festhalten!«
    »Ein kleiner Junge«, brachte Tom nur heraus, als er seiner Frau den warmen Körper reichte. »Es war ein kleiner Junge.«
    Das dumpfe Heulen des Windes verstummte nicht. Die späte Nachmittagssonne schien weiter durchs Fenster und breitete eine golden leuchtende Decke über die Frau und ihr Beinahe-Baby. Die alte Küchenuhr ließ immer noch mit einem pedantischen Ticken die Minuten verstreichen. Ein Leben war gekommen und gegangen, ohne dass die Natur auch nur eine Sekunde innegehalten hätte. Die Maschinerie von Zeit und Raum läuft einfach weiter, während die Menschen hineingeschüttet werden wie Korn in eine Mühle.
    Isabel war es gelungen, sich ein wenig aufzusetzen und sich an die Wand zu lehnen. Schluchzend betrachtete sie den winzigen Körper, den sie sich in ihrer Zuversicht größer und kräftiger vorgestellt hatte – als ein Kind von dieser Erde. »Mein Baby, mein Baby, mein Baby, mein Baby«, flüsterte sie wie einen Zauberspruch, um es vielleicht zum Leben zu erwecken. Das Gesicht des kleinen Geschöpfs war so ernst wie das eines ins Gebet versunkenen Mönchs. Die Augen waren geschlossen, der Mund war zugekniffen: Es war bereits in die Welt zurückgekehrt, die es offenbar nur widerstrebend verlassen hatte.
    Noch immer zählten die Uhrzeiger rechthaberisch die Minuten ab. Eine halbe Stunde war vergangen, ohne dass Isabel etwas gesagt hätte.
    »Ich hole dir eine Decke.«
    »Nein!« Sie griff nach seiner Hand. »Lass uns nicht allein.«
    Tom setzte sich neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern, als sie, an seine Brust gelehnt, bitterlich schluchzte. Das Blut an den Rändern der Lachen auf dem Boden trocknete schon. Tod, Blut, die Verwundeten zu trösten – all das war ihm vertraut. Aber nicht so: eine Frau, ein Baby, keine Explosionen und auch kein Schlamm. Alles war genauso wie immer: Die Teller mit dem Weidendekor waren ordentlich im Abtropfständer aufgereiht. Ein Geschirrtuch hing über der Tür des Backrohrs. Der Kuchen, den Isabel am Vormittag gebacken hatte, lag gestürzt auf dem Abkühlgitter. Über die Kuchenform war noch ein feuchtes Tuch gebreitet.
    »Was tun wir jetzt? Mit dem … mit ihm?«, fragte Tom nach einer Weile.
    Isabel betrachtete den kalten Körper in ihren Armen. »Mach den Badeofen an.«
    Tom warf ihr einen Blick zu.
    »Bitte mach ihn an.«
    Tom, der immer noch nicht ganz verstand, aber nicht wollte, dass sie sich aufregte, erhob sich und tat es.
    »Füll Wasser in den Wäschezuber, wenn es warm ist«, sagte sie, als er zurückkam.
    »Falls du baden möchtest, trage ich dich, Izz.«
    »Nicht für mich. Ich muss ihn waschen. Im Wäscheschrank liegen die guten Laken – die, die ich bestickt habe. Holst du mir eines?«
    »Izz, mein Liebling, dafür ist doch noch Zeit. Du bist jetzt am wichtigsten. Ich setze jetzt einen Funkspruch ab und lasse ein Schiff kommen.«
    »Nein!« Ihr Tonfall war schrill. »Nein! Ich will … Ich will keine fremden Leute hier haben. Niemand soll es erfahren. Noch nicht.«
    »Aber, Schatz, du hast so viel Blut verloren. Du bist leichenblass. Wir sollten einen Arzt rufen, der dich ans Festland bringt.«
    »Der Wäschezuber, Tom. Bitte?«
    Als das Wasser warm war, füllte Tom den Metallzuber, stellte ihn neben Isabel auf den Boden und reichte ihr einen Waschlappen. Sie tauchte ihn ins Wasser und begann, mit dem im Waschlappen steckenden Finger ganz, ganz sanft

Weitere Kostenlose Bücher