Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
dass wir nicht schon früher etwas gehört haben. Und jetzt schreibt dir jemand aus heiterem Himmel.«
»Aber es ist ein Hinweis!«, beharrte Hannah.
»Oh, Hanny.« Gwen schüttelte den Kopf.
Später am selben Tag saß Sergeant Knuckey, der oberste Polizist von Point Partageuse, verlegen auf einem gedrungenen Großmutterstuhl, balancierte eine zarte Teetasse auf seinem breiten Knie und versuchte, sich gleichzeitig Notizen zu machen.
»Und Sie haben keinen Fremden in der Nähe des Hauses beobachtet, Miss Potts?«, wandte er sich an Gwen.
»Niemanden.« Sie stellte das Milchkännchen zurück auf den Tisch. »Wir bekommen normalerweise keinen Besuch.«
Er schrieb wieder etwas auf.
»Und?«
Knuckey wurde klar, dass Septimus ihm eine Frage gestellt hatte. Wieder untersuchte er den Brief. Eine ordentliche Handschrift. Schlichtes Papier. Nicht mit der Post verschickt. Von einem Ortsansässigen? Der Himmel wusste, dass hier noch immer Leute lebten, denen es Freude machte, Menschen zu schikanieren, die sich mit Deutschen abgaben. »Ich fürchte, der Brief ist nicht sehr aufschlussreich.« Geduldig lauschte er Hannahs Einwänden, dem Brief müssten doch Hinweise zu entnehmen sein. Außerdem fiel ihm auf, dass Vater und Schwester ein wenig verlegen wirkten, so als finge eine schrullige Tante an, beim Abendessen über Jesus Christus zu schwadronieren.
Als Septimus den Sergeant zur Tür brachte, setzte dieser die Mütze auf und meinte leise: »Für mich ist das ein grausamer Scherz. Es ist allmählich wirklich an der Zeit, das Kriegsbeil gegen die Deutschen zu begraben. Es war zwar eine schreckliche Sache, aber solche Streiche gehören sich nicht. Ich an Ihrer Stelle würde das mit dem Brief nicht an die große Glocke hängen. Sonst rufen Sie nur Trittbrettfahrer auf den Plan.« Nachdem er Septimus die Hand geschüttelt hatte, marschierte er die lange, von Eukalyptusbäumen gesäumte Einfahrt entlang.
Zurück im Arbeitszimmer, legte Septimus Hannah die Hand auf die Schulter. »Kopf hoch, Mädchen, lass dich von so etwas nicht unterkriegen.«
»Aber ich verstehe das nicht, Dad. Sie muss noch am Leben sein. Warum sonst sollte sich jemand die Mühe machen, so einen Brief zu schreiben und zu lügen, und noch dazu aus heiterem Himmel?«
»Weißt du was, mein Kind. Was hältst du davon, wenn ich die Belohnung verdopple? Auf zweitausend Guineen. Falls jemand wirklich Hinweise für uns hat, werden wir es bald erfahren.« Während Septimus seiner Tochter noch eine Tasse Tee einschenkte, war er ausnahmsweise nicht froh, dass er sich vermutlich nicht von seinem Geld würde trennen müssen.
Obwohl Septimus Potts in der Geschäftswelt von Partageuse und Umgebung tonangebend war, konnten nicht viele von sich behaupten, dass sie ihn gut kannten. Er verteidigte seine Familie wie ein Löwe, auch wenn sein hartnäckigster Gegner schon immer das Schicksal gewesen war. Septimus war fünf Jahre alt gewesen, als er 1869 in Fremantle von Bord der Queen of Cairo gegangen war. Um den Hals trug er ein kleines Holzschild, das seine Mutter ihm nach dem tränenreichen Abschiedskuss am Hafen in London umgehängt hatte. »Ich bin ein braver christlicher Junge. Bitte sorgen Sie für mich«, stand darauf.
Septimus war das siebte und letzte Kind eines Schrotthändlers aus Bermondsey, der sich nur drei Jahre nach der Geburt seines Sohnes unter den Hufen eines durchgegangenen Zugpferds von dieser Welt verabschiedet hatte. Seine Mutter hatte ihr Bestes versucht, um die Familie zusammenzuhalten. Doch als einige Jahre später die Schwindsucht an ihren Kräften zu zehren begann, hatte sie gewusst, dass sie für die Zukunft ihrer Kinder sorgen musste. So viele wie möglich wurden an Verwandte in und rings um London verteilt, wo sie den Menschen, die sie bei sich aufnahmen, als kostenlose Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Nur ihr Jüngster war noch zu klein und deshalb ein nutzloser Esser, weshalb eine der letzten Handlungen seiner Mutter darin bestand, für ihn eine Schiffspassage nach Westaustralien zu buchen. Nur für ihn allein.
Wie er es Jahrzehnte später ausdrückte, wecke eine Erfahrung wie diese in einem Menschen entweder Todessehnsucht oder Lebenshunger, und er ginge davon aus, dass der Tod noch früh genug bei ihm anklopfen würde. Als ihn also eine rundliche, sonnengebräunte Frau von der Seefahrermission unter ihre Fittiche nahm und ihn in ein »gutes Zuhause« im Südwesten schickte, beklagte er sich nicht und stellte auch keine Fragen.
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