Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
verdenken, dass sie sich ihr Baby zurückwünschte? Seine Irene weinte noch immer manchmal um den kleinen Billy, obwohl seit seinem Tod durch Ertrinken als Kleinkind inzwischen zwanzig Jahre vergangen waren. Sie hatten zwar noch fünf weitere Kinder bekommen, aber die Trauer blieb.
Nein, es bestand nicht mehr die geringste Chance, dass das Baby am Leben war. Dennoch griff er nach einem Blatt Papier und verfasste einen Bericht über den Zwischenfall. Mrs. Roennfeldt verdiente es, dass man sich wenigstens an die Vorschriften hielt.
Kapitel 17
» Ihr Mann hat in Gottes Hand seinen Frieden gefunden. « Immer wieder liest Hannah Roennfeldt am Tag des Eintreffens des geheimnisvollen Briefs diesen Satz. Grace lebt, aber Frank ist tot. Das eine will sie glauben, das andere nicht. Frank. Franz. Sie erinnert sich an den sanften Mann, dessen Leben so oft auf den Kopf gestellt worden ist, auf dem verschlungenen Weg, der ihn irgendwann zu ihr geführt hat.
Die erste Kurve hat ihn als sechzehnjährigen Jungen aus seinem behüteten Leben in Wien gerissen, da die Spielschulden seines Vaters die Familie zwangen, zu Verwandten nach Kalgoorlie zu fliehen, einer Stadt, so weit weg von Österreich, dass nicht einmal der hartnäckigste Gläubiger die Verfolgung aufgenommen hätte. Vom Luxus direkt in die Armut, sodass der Sohn in der Bäckerei von Onkel und Tante, die sich nach ihrer Ankunft vor vielen Jahren von Fritz und Mitzie in Clive und Millie umbenannt hatten, das Bäckerhandwerk hatte erlernen müssen. Es sei wichtig, sich anzupassen, sagten sie. Seine Mutter sah das ein, doch sein Vater hatte sich mit dem Stolz und Starrsinn, die auch zu seinem finanziellen Untergang geführt hatten, einer gesellschaftlichen Eingliederung verweigert, sich noch im selben Jahr vor den Zug nach Perth geworfen und Frank damit zum Haushaltsvorstand gemacht.
Einige Monate später, bei Kriegsausbruch, erfolgte dann die Internierung als feindlicher Ausländer, erst auf Rottnest Island, dann im Osten, und das bei einem Jungen, der inzwischen nicht nur entwurzelt und in Trauer war, sondern auch noch verachtet wurde, und zwar wegen Vorgängen am anderen Ende der Welt, die sich seinem Einfluss entzogen.
Und nie hatte er sich beklagt, dachte Hannah. Franks Lächeln war noch so freundlich und offen wie eh und je, als sie ihn 1922 in Partageuse kennenlernte, wo er eine Stelle in der Bäckerei angenommen hatte.
Sie erinnerte sich noch an ihre erste Begegnung auf der Main Street. Der Frühlingsmorgen war zwar sonnig, doch im Oktober noch ein wenig kühl. Lächelnd hatte Frank ihr ein Umschlagtuch hingehalten, das sie als ihr eigenes erkannte.
»Das haben Sie gerade im Buchladen liegen gelassen«, sagte er.
»Vielen Dank. Sehr nett von Ihnen.«
»Ein wunderschönes Umschlagtuch, und diese Stickereien! Meine Mutter hatte früher auch so eines. Chinesische Seide ist sehr teuer. Es wäre ein Jammer, es zu verlieren.« Mit einem respektvollen Nicken wandte er sich zum Gehen.
»Ich habe Sie noch nie hier gesehen«, meinte Hannah. Und auch einen charmanten Akzent wie seinen hatte sie noch nie gehört.
»Ich habe gerade in der Bäckerei angefangen. Mein Name ist Frank Roennfeldt. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.«
»Nun, dann willkommen in Partageuse, Mr. Roennfeldt. Hoffentlich gefällt es Ihnen hier. Ich bin Hannah Potts.« Sie verlagerte ihre Einkäufe in die andere Hand, um sich das Umschlagtuch über die Schultern zu wickeln.
»Wenn Sie gestatten«, sagte er und schlang es ihr mit einer geschickten Bewegung um. »Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Tag.« Wieder das offene Lächeln. Die Sonne fing sich in seinen blauen Augen und brachte sein helles Haar zum Leuchten.
Als Hannah über die Straße zu ihrem wartenden Einspänner ging, bemerkte sie, dass eine Frau sie böse ansah und auf den Boden spuckte. Hannah war zwar schockiert, sagte aber nichts.
Einige Wochen später stattete sie wieder einmal Maisie McPhees kleinem Buchladen einen Besuch ab. Beim Eintreten erkannte sie Frank, der an der Theke stand und von einer älteren Dame attackiert wurde, die zur Untermauerung ihrer Worte ihren Spazierstock schwenkte. »Es ist unfassbar, Maisie McPhee!«, verkündete die Frau. »Allein die Vorstellung, dass Sie Bücher verkaufen, mit denen Sie die dreckigen Deutschen unterstützen. Ich habe einen Sohn und einen Enkel an diese Bestien verloren und hätte nie von Ihnen erwartet, dass Sie ihnen Geld schicken wie das Rote Kreuz.«
Während Maisie
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