Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
brachte er nur noch heraus, bevor ihm eine Träne aus dem Auge quoll. Ehrfürchtig betrachtete er das Kind.
Hannah berührte ihn am Arm. »Komm, ich möchte dir Frank vorstellen«, sagte sie und führte ihn den Gang entlang.
»Bitte, kommt doch herein«, forderte Hannah ihren Vater auf, als dieser mit Gwen an ihrem Gartentor stand. Septimus zögerte. Das winzige Holzhäuschen, kaum mehr als eine Hütte, erinnerte ihn an die schäbige Bude der Flindells, in der er aufgewachsen war. Als er eintrat, versetzten ihn die wenigen Schritte um fünfzig Jahre zurück.
Im Wohnzimmer plauderte er höflich, aber steif, mit Franks Cousins. Er lobte Franks köstlichen Taufkuchen und das kleine, aber leckere Büfett. Dabei musterte er aus dem Augenwinkel die Risse in den Wänden und die Löcher im Teppich.
Bevor er sich verabschiedete, nahm er Hannah beiseite und zog die Brieftasche heraus. »Ich möchte euch ein bisschen Geld für …«
Hannah schob sanft seine Hand weg. »Schon gut, Dad, wir kommen zurecht«, protestierte sie.
»Natürlich tut ihr das. Aber da ihr jetzt ein Kleines …«
Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Wirklich. Es ist sehr nett von dir, doch wir schaffen es auch allein. Besuch uns bald wieder.«
Lächelnd küsste er erst das Baby, dann seine Tochter auf die Stirn. »Danke, Hanny«, sagte er und fügte im Flüsterton hinzu: »Ellen hätte gewollt, dass ihre Enkelin gut behütet wird. Und ich … ich habe dich vermisst.«
Noch in derselben Woche wurden aus Perth, Sydney und anderen Städten Geschenke für das Baby geliefert: ein Kinderbett, eine Kommode aus Mahagoni, Kleidchen, Hauben und Pflegeartikel. Die Enkelin von Septimus Potts sollte das Beste haben, was man für Geld kaufen konnte.
» Ihr Mann hat seinen Frieden in Gottes Hand gefunden. « Der Brief stürzt Hannah gleichzeitig in Trauer und macht ihr neue Hoffnungen. Gott hat ihr den Mann genommen, aber ihre Tochter gerettet. Sie weint, nicht nur vor Schmerz, sondern weil sie sich schämt, wenn sie sich an jenen Tag erinnert.
Die Stadt breitet den Schleier des Vergessens über manche Ereignisse. Schließlich ist es eine kleine Gemeinde, und jeder weiß, dass ein Pakt, etwas unter den Teppich zu kehren, gelegentlich ebenso wichtig ist wie das gemeinsame Gedenken. Kinder können aufwachsen, ohne etwas von den Jugendsünden ihres Vaters oder von den unehelichen Geschwistern zu ahnen, die fünfzig Kilometer entfernt wohnen und den Namen eines anderen Mannes tragen. Geschichte ist nichts weiter als die Version der Ereignisse, auf die sich eine Gemeinschaft geeinigt hat. Unter dem Schutzmantel des Schweigens, das die Scham betäubt, kann das Leben weitergehen. Männer, die aus dem Krieg zurückkehrten, hätten viel über die Angst und Verzweiflung von Kameraden im Angesicht des Todes erzählen können, sagten aber nur, der Betreffende sei tapfer gestorben. Soweit die Zivilbevölkerung im Bilde ist, hat nie ein Soldat ein Bordell besucht, sich wie ein Berserker gebärdet oder Reißaus vor dem Feind genommen. Im Krieg gewesen zu sein, ist Strafe genug. Und wenn Frauen das Geld für den Ratenkredit oder die Küchenmesser vor einem Ehemann verstecken müssen, der nicht ganz bei Verstand ist, tun sie das ohne ein Wort und gestehen es manchmal nicht einmal sich selbst ein.
Deshalb kann Hannah Roennfeldt die Erinnerung daran, wie sie Frank verloren hat, mit niemandem teilen. »Wem nützt es, Salz in die Wunden zu streuen?«, meinen die Leute, ängstlich darauf bedacht, dass in Partageuse wieder Normalität einkehrt. Doch Hannah hat es nicht vergessen.
Heldengedenktag. Die Pubs sind voll – überall Männer, die entweder selbst im Krieg gewesen sind oder Brüder verloren haben. Männer, zurück aus Gallipoli oder von der Somme, auch jetzt, zehn Jahre später, noch immer nicht hinweg über die seelischen Folgen der Granatenangriffe oder die Auswirkungen des Senfgases. Es ist der 26. April 1926. In den Hinterzimmern der Pubs finden heimliche Partien Münzenwerfen statt, denn die Polizei drückt an diesem Tag ein Auge zu. Ja, die Polizisten spielen sogar mit, schließlich waren sie auch im Krieg. Das Bier Marke Emu Bitter fließt in Strömen, die Stimmen werden lauter, die Lieder derber. Es gibt so viel, was in Alkohol ertränkt werden muss. Die Männer sind an ihre Arbeitsplätze auf Farmen, an Schreibtischen oder in Klassenzimmern zurückgekehrt und haben weitergemacht – sie haben einfach weitergemacht wie zuvor, weil ihnen, verdammt noch mal,
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