Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
Und Tom? Tom ist ein guter Mensch. Tom wird das Richtige tun, so wie immer. Darauf kann sie sich verlassen. Irgendwann wird er sich mit der Situation abfinden.
Allerdings klafft mittlerweile zwischen ihnen eine hauchdünne, aber unüberwindliche Kluft, ein unsichtbares Streifchen Niemandsland.
Langsam kehrt auf Janus wieder der Alltag ein und nimmt Tom mit den unzähligen Details seiner Rituale in Anspruch. Wenn er manchmal aus düsteren Träumen erwacht, die von zerbrochenen Wiegen und Kompassen ohne Ausrichtung handeln, schiebt er sein Unbehagen beiseite und lässt sich vom Tageslicht eines Besseren belehren. Und die Einsamkeit lullt ihn mit ihrem Wiegenlied aus Lügen ein.
»Du weißt doch, was heute ist, oder Luce?«, fragte Isabel, während sie dem kleinen Mädchen den Pullover über den Kopf zog und aus jedem Ärmel eine Hand zutage förderte. Seit ihrer Rückkehr nach Janus im Januar 1928 waren sechs Monate vergangen.
Lucy hob ein wenig den Kopf, als ob der veränderte Winkel ihr beim Nachdenken helfen würde.
»Soll ich dir einen Tipp geben?«
Sie nickte.
Isabel streifte ihr die erste kleine Socke über. »Komm, das andere Füßchen. Ja, genau. Gut, der Tipp ist, dass du heute Abend vielleicht Orangen kriegst, wenn du ganz brav bist …«
»Schiff!«, rief das kleine Mädchen aus, rutschte vom Schoß seiner Mutter und sprang, einen Schuh am Fuß, den anderen in der Hand, hin und her. »Das Schiff kommt! Das Schiff kommt!«
»Richtig. Sollen wir für Ralph und Bluey das Haus schön aufräumen?«
»Ja!«, antwortete Lucy, bereits auf dem Weg in die Küche. »Alf und Booey kommen, Dadda!«, jubelte sie.
Tom hob sie hoch und küsste sie. »Na, mein kleiner Schlaumeier. Hast du dich ganz alleine daran erinnert, oder hat dir jemand geholfen?«
»Das hat Mama gesagt«, gestand Lucy mit einem Grinsen, befreite sich zappelnd und lief zurück zu Isabel.
Bald machten sich die beiden in Galoschen und Mänteln auf den Weg zum Hühnerstall. Lucy trug eine Miniaturausgabe des Korbs, den Isabel in der Hand hatte.
»Eine richtige Modenschau«, stellte Tom fest, als er auf dem Weg zum Schuppen an ihnen vorbeikam.
»Besser warm eingepackt als glamourös«, entgegnete Isabel und küsste ihn rasch. »Und jetzt auf zur Eierexpedition.«
Im Hühnerstall griff Lucy mit beiden Händen nach jedem Ei. Die Arbeit, die bei Isabel nur wenige Sekunden gedauert hätte, wurde bei ihr zum feierlichen Ritual. Erst wurde das Ei an die Wange gehalten. »Noch warm!«, oder »Eiskalt«, meldete sie den Stand der Dinge. Dann reichte sie das Ei zur sicheren Aufbewahrung an Isabel weiter. Das letzte durfte sie in ihren eigenen Korb befördern. »Danke, Daphne. Danke, Speckle …«, bedankte sie sich anschließend bei jeder Henne für ihren Beitrag.
Im Gemüsegarten hielt sie den Spatenstiel, während Isabel die Kartoffeln ausgrub.
»Ich glaube, ich sehe eine …«, sagte Isabel und wartete, bis Lucy die hellere Stelle im sandigen Boden entdeckt hatte.
»Hier!«, verkündete Lucy, steckte die Hand ins Loch und förderte einen Stein zutage.
»Fast.« Isabel lächelte. »Versuch es doch ein Stückchen daneben. Schau, ein bisschen näher an dieser Seite.«
»Toffel!« Strahlend hob Lucy ihre Beute hoch, sodass ihr Erde in Haar und Augen rieselte, worauf sie zu weinen begann.
»Lass mal schauen«, meinte Isabel tröstend und wischte sich die Hände an der Hose ab, bevor sie sich dem Auge widmete. »So, und jetzt ein Blinzeln für Mama. Alles weg, Luce.« Das kleine Mädchen öffnete und schloss noch ein paarmal die Augen.
»Alles weg«, stimmte es schließlich zu. »Mehr Toffeln«, sagte sie und machte sich wieder auf die Suche.
Im Haus fegte Isabel alle Zimmer und schob den sandigen Staub in den Ecken zu Haufen zusammen, um ihn mit dem Kehrblech aufzunehmen. Als sie von einer kurzen Überprüfung des Brots im Backrohr zurückkehrte, fand sie eine durch das ganze Haus führende Spur vor, weil Lucy sich selbst mit dem Kehrblech versucht hatte.
»Guck, Mama! Ich helfe.«
Seufzend betrachtete Isabel den kleinen Staubsturm. »So könnte man es auch nennen …« Sie hob Lucy auf. »Danke. Braves Mädchen. Und um sicherzugehen, dass der Boden wirklich sauber ist, fegen wir ihn jetzt noch mal. Lucy Sherbourne, die geborene Hausfrau«, fügte sie kopfschüttelnd hinzu.
Später erschien Tom in der Tür. »Ist sie fertig?«
»Ja«, erwiderte Isabel. »Gesicht gewaschen. Hände gewaschen. Keine klebrigen Finger.«
»Dann komm mit
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