Das Liebesleben der Hyäne
ihn ein Tiger zerfleischt. Restlos zerfetzt. Es sah obszön aus.
Am nächsten Abend kam Sara vorbei.
»Wie schmeckt dir der Truthahn?«
»Ganz gut.«
Sie ging in die Küche, sah in den Kühlschrank, stieß einen Schrei aus und kam herausgestürzt.
»Mein Gott, was ist denn da passiert?«
»Tammie und Arlene waren da. Sie hatten anscheinend schon seit über einer Woche nichts mehr gegessen.«
»So eine Schweinerei! Ich mag gar nicht hinsehen!«
»Tut mir leid. Ich hätte sie bremsen sollen. Aber sie waren voll auf Speed.«
»Naja, jetzt kann ich bloß noch eins machen …«
»Was?«
»Eine Truthahnsuppe. Ich geh erst mal Suppengemüse kaufen.«
»All right.« Ich gab ihr einen Zwanziger.
Sara machte die Suppe. Sie schmeckte köstlich. Ehe sie am nächsten Morgen ging, erklärte sie mir, wie ich mir die Suppe aufwärmen sollte.
Nachmittags gegen 4 klopfte Tammie an die Tür. Ich ließ sie herein, und sie ging stracks in die Küche. Ich hörte, wie die Tür des Kühlschranks aufging.
»Hey! Suppe, hm?«
»Yeah.«
»Taugt sie was?«
»Yeah.«
»Was dagegen, wenn ich sie mal probiere?«
»Nur zu.«
Ich hörte, wie sie die Suppe auf den Herd stellte. Sie begann zu löffeln.
»Gott, das schmeckt ja nach gar nichts! Da müssen Gewürze rein!«
Ich hörte, wie sie löffelweise Gewürze reinschaufelte. Dann probierte sie erneut.
»Schon besser! Aber es muß noch ein bißchen rein. Ich bin Italienerin, wie du weißt. So … aha … das kann man schon eher essen. Jetzt muß sie nur noch richtig heiß werden. Kann ich ein Bier haben?«
»All right.«
Sie kam mit ihrer Flasche zu mir herein und setzte sich.
»Hab ich dir gefehlt?«
»Das verrate ich nicht.«
»Ich glaube, ich kann wieder meinen Job im ›Play Pen‹ haben.«
»Sehr schön.«
»Da kommen welche rein, die ganz gute Trinkgelder geben. Einer hat mir jeden Abend fünf Dollar zugesteckt. Er war in mich verliebt. Aber er hat mich nie gefragt, ob ich mit ihm ausgehe. Er hat mir nur Stielaugen gemacht. Er hatte eine Macke. Er hat Leute am Arsch operiert, und manchmal hat er mich beobachtet, während ich bedient hab, und dabei hat er gewichst. Ich hab es riechen können, wenn ich an ihm vorbeikam, weißt du.«
»Na, wenigstens hast du ihm zu ein paar Spritzern verholfen …«
»Ich glaub, die Suppe ist jetzt soweit. Willst du auch?«
»Nein danke.«
Sie ging in die Küche, und ich hörte, wie sie direkt aus dem Pott löffelte. Sie blieb lange drin. Als sie wieder herauskam, sagte sie: »Leihst du mir bis Freitag fünf Dollar?«
»Nein.«
»Dann leih mir halt zwei.«
»Nein.«
»Gib mir wenigstens einen Dollar.«
Ich gab ihr eine Handvoll Kleingeld. Es kam auf einen Dollar und siebenunddreißig Cents.
»Danke«, sagte sie.
»Schon recht.«
Sie war bereits aus der Tür.
Sara kam am nächsten Abend wieder. So oft kam sie sonst nie vorbei. Es hatte wohl etwas mit den Feiertagen zu tun. Jeder kam sich halb kirre vor und hatte Angst vor dem Alleinsein. Ich hatte den Wein dastehen und goß jedem von uns ein Glas ein.
»Wie läuft das Inn?« fragte ich sie.
»Beschissen. Es lohnt sich kaum, den Laden jeden Tag zu öffnen.«
»Wo sind denn deine Kunden?«
»Alle aus der Stadt und irgendwo hingefahren.«
»Tja, was man auch macht, irgendwo geht immer die Luft raus.«
»Nicht bei allen. Manche fangen was an, und es läuft und läuft.«
»Stimmt.«
»Wie ist die Suppe?«
»Fast nichts mehr da.«
»Hat sie dir geschmeckt?«
»Ich hab nicht viel davon gehabt.«
Sara ging in die Küche und machte den Kühlschrank auf. »Was ist denn mit der Suppe passiert? Sie sieht so anders aus …«
Ich hörte, wie sie davon probierte. Dann rannte sie ans Spülbecken und spuckte es wieder aus.
»Mein Gott, das ist ja Gift! Was ist passiert? Waren Tammie und Arlene schon wieder da? Haben sie auch noch die Suppe gegessen?«
»Nur Tammie allein.«
Diesmal schrie Sara nicht. Sie schüttete nur den Rest Suppe in den Ausguß und spülte mit Wasser nach. Ich hörte, wie sie sich Mühe gab, ihr Schluchzen zu unterdrücken. Der arme organische Truthahn. Er hatte wirklich was mitgemacht an diesem Weihnachtsfest.
100
Dann kam Silvester. Auch so ein Datum, das mir schwer im Magen lag. Meine Eltern hatten am Silvesterabend immer ganz begeistert am Radio gesessen und sich angehört, wie es näherkam, eine Stadt nach der anderen, bis es schließlich auch in Los Angeles soweit war – die Knallfrösche gingen los, die Trillerpfeifen und die Autohupen, und
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