Das Liebesspiel - Tripp, D: Liebesspiel
zur Schule gegangen. Sie drückt mir ein Küsschen auf die Wange und fragt, wie’s mir geht. Wir plaudern und Laney ruft meinen Namen. Ich schaue hoch, meine Nichte lebt meinen Albtraum, hängt ganz oben in der offenen Gondel, schaukelt vor und zurück, während die Sitze unten neu besetzt werden. Ich lächle und winke ihr zu, um sie zu beruhigen.
Selma erzählt mir von ihrem neuen Toyota Prius, dass sie gar nicht geahnt hatte, welche Schuldgefühle sie wegen der Umweltverschmutzung plagten, bis sie zum ersten Mal mit ihm auf den Highway fuhr und spürte, wie sich eine Last von ihr löste. Selma ist schon mehrmals erlöst worden. Hat von jetzt auf gleich mit dem Trinken aufgehört, ist mittlerweile eine glücklich verheiratete wiedergeborene Christin und an diesem Abend aufgetakelt wie eine Fregatte. Ihr Haar ist in züngelnde Locken gelegt, ein helleres Blond, als sie je auf der Highschool hatte. Sie trägt ein weißes Spitzenoberteil, eng, dazu Plateausandalen mit Korksohlen und eine Caprihose, immer der neuste Schrei – ihr jetziger Kleidungsstil die einzige Erinnerung an das, was sie mal war, bevor sie Gott und Mr. Right traf.
Laney ist immer noch im Riesenrad. Es dreht sich jetzt, sie ist glücklich. Ich beginne zu träumen und schaue auf die Uhr, kann den großen Zeiger nicht erkennen, drehe mich um und gehe einige Schritte, um anständig sehen zu können. Als ich hochblicke, laufe ich direkt in Ray hinein. Er ist überrascht, hat mich ebenfalls nicht kommen sehen, das merke ich an seinem Gesichtsausdruck.
»Hi«, sage ich, aber er ist schon an mir vorbei, ein kurzes Nicken in meine Richtung, kühler Blick. Seine Tochter Anna, in Laneys Alter, ist bei ihm. Sie sieht sich einmal um, aber Ray geht einfach weiter, ohne sein Tempo zu verlangsamen. Sie verschwinden hinter dem Stand von Del’s Lemonade.
An dem Abend sehe ich Ray noch einmal, vom Calypso aus. Der Nachthimmel dreht sich, der schwarze Schatten des Waldes rast auf uns zu, dann wieder fort, das Haar peitscht mir ins Gesicht, wird nach hinten geweht, während wir rotieren, unsere Gondel herumschleudert, Laney kreischt, klammert sich an mein Bein, und ich blicke über dieses glitzernde Meer aus Schreien, Geräuschen und Gerüchen und entdecke ihn, er steht in einer Lücke in der Menge unweit der großen Rutsche, das Gesicht blass im Dunkeln. Er scheint zu uns herüberzuschauen. Jedes Mal, wenn wir vorne sind, erkenne ich ihn in der Masse, er sieht herüber, so als wäre der Blick aus der Entfernung ungefährlicher.
Als wir endlich aussteigen, ist er fort. Wir bummeln weiter. Mir wird klar, dass ich niemals auf das Karussell hätte gehen dürfen. Mein Gleichgewichtssinn ist durcheinander – ich glaube, es liegt daran, dass ich versucht habe, meinen Blick auf ihn zu richten. Wenn ich mich einfach dem Gewirbel überlassen hätte, wäre vielleicht alles gut gegangen. Vielleicht. Ich habe ein schrecklich blechernes Klingeln im Innenohr und mein Hirn fühlt sich zerdrückt an, in eine Ecke gequetscht, die andere Seite ist weit offen, viel zu offen.
***
Ich bin bei hundert Vögeln.
Ein paar Tage später kommt mein Bruder Alex vorbei, ich bin oben und bügele mein Hemd für die Arbeit, als ich seinen Pick-up vorfahren, das verräterische Schlurfen seiner Stiefel auf der Veranda höre. Meine Mutter kommt aus dem Keller herauf, ihre Stimmen steigen durch die Rohre nach oben.
Er erzählt von einem Campingurlaub, zu dem ihn seine Frau Lisa überreden will; dann geht es um das zweiwöchige Baseball-Lager im August, an dem Sebastian teilnehmen will. Ich höre meinen Namen. Es ist Alex, der damit anfängt – diese Unterhaltung mit der Überschrift: »Meinst du, Marne bekommt es irgendwann auf die Reihe?« »Wirft sich meinem besten Freund an den Hals, jetzt guck dir an, was passiert ist.« Ich höre seinem Gefasel länger zu, als ich sollte, die sanften Entgegnungen meiner Mutter – am Ende ist es ihre Sanftheit, die mich schafft –, ich reiße den Stecker aus der Wand, stelle das Bügeleisen zum Abkühlen aufrecht hin und gehe nach unten, stapfe so laut die Treppe hinunter, dass das Schweigen unten, als ich die Küche betrete, wie gesprungenes Glas ist. Ich marschiere quer hindurch, reiße den Kühlschrank auf, nehme mir einen Pfirsich, ein Messer aus der Schublade. Ich gehe nach draußen, lasse die Fliegentür hinter mir zuknallen – das Holz dehnt sich im Sommer aus und schließt dann nicht bündig mit dem Rahmen. Ich entferne mich vom Haus,
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