Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
hatte.
»Was sollen wir jetzt tun?«, fragte sie, als sie schließlich ruhiger geworden war.
»Nimm die Steine weg, Jessica.«
Jessica und Marcus fielen auf die Knie, und Marcus stemmte sich keuchend gegen den größten Stein. Er brauchte einige Kraft, um ihn zur Seite zu rollen. Darunter kam in der nun freiliegenden Erde ein kleines Stück zerrissenen alten blauen Tuchs zum Vorschein. Als er es mit der Taschenlampe anleuchtete, stellte er fest, dass es sehr alt war. Zeit und Elemente hatten das Material hauchdünn und äußerst fragil werden lassen. Mit der Geduld eines Archäologen wischte er mit dem Finger die Erde von dem Stoff, und als er etwas tiefer vordrang, stieß sein Finger auf etwas Härteres. Metall.
Er versuchte, die Stelle nicht zu sehr zu zerstören, und grub um das Objekt herum, bis er es freigelegt hatte. Es war eine schmutzverkrustete Brosche, die er Jessica zeigte.
Sie erkannte sie sofort. »Mein Gott, das ist Sarahs Brosche. Ich habe sie mehrmals in meinen Träumen gesehen.« Kurzzeitig überwältigten sie ihre Gefühle so, dass sie nicht sprechen konnte. Dann meinte sie schließlich: »Im Traum von letzter Nacht hat Dowd versucht, sie ihr zu stehlen, aber Elijah hat ihn daran gehindert und ihn gezwungen, sie zu ihrer … Leiche zu legen.« Sie schluckte.
»Weine nicht um mich, meine liebe Jessica. Ich kann jetzt in Frieden ruhen, denn ich habe mir endlich meine ewige Ruhe verdient.«
Jessica hielt Marcus die Brosche hin. »Das hier ist doch der Beweis, dass hier irgendwo in der Nähe …« Sie hatte Schwierigkeiten, das Wort auszusprechen, »… ihre sterblichen Überreste sind?«
Ernst nickte er. »Ich glaube schon.«
»Ihr müsst einen Priester hierher bringen, damit er die heiligen Worte sprechen kann. Nur dann bin ich frei und kann zu meinen Lieben gehen.«
Marcus sah Sarah an. »Das wird geschehen. Heute noch.«
»Kannst du das machen?«, flüsterte Jessica. »Einfach so?«
»Warum nicht?«, meinte er und wies auf die Landschaft. »Das hier ist jetzt eine historische Stätte auf Norfolk Island in Bezug auf die Geschichte der Strafgefangenenkolonien. Wir müssen die Polizei und andere Behörden informieren, die das Gelände bestimmt genau untersuchen und alles, einschließlich ihrer Gebeine, identifizieren wollen – all so etwas. Aber bevor wir in dieser Richtung etwas unternehmen, lassen wir einen katholischen Priester kommen und das Grab segnen.«
Jessica runzelte die Brauen. »Es gibt keinen Priester auf der Insel, Marcus.«
Marcus sah Jessica mitleidig lächelnd und ein wenig traurig in die blauen Augen. »In der St. Philip Howard's Church ist gerade ein Priester. Er hat am Sonntag die Messe gelesen, hat Nan mir erzählt. Sarah hat lange genug gewartet. Ich bin sicher, er kommt. Später, wenn die Behörden ihre Arbeit getan haben, lasse ich Sarahs Gebeine in unserem Familiengrab auf dem Friedhof beisetzen.«
Er stand auf und zog Jessica mit sich hoch.
»Wir kommen so bald wie möglich wieder,« versprach er Sarah.
»Ich werde warten.«
Fast zweieinhalb Stunden brauchten sie, um Father Finnigan dazu zu überreden, ihren Wunsch zu erfüllen. Sie erzählten ihm Sarahs ganze Geschichte, alles, was Jessica zugestoßen war, und zeigten ihm die Brosche. Sowohl Marcus als auch Jessica sahen die Skepsis in den Augen des Priesters, als er seine Bibel und das Weihwasser nahm und ihnen zur Tür der Sakristei folgte.
Als die drei die Slaugther Bay wieder erreichten und den Hang zur großen Pinie hinaufschritten, war es bereits heller Vormittag. Der Nebel war wie so oft auf dieser Insel einem sonnigen Tag gewichen.
»Ich muss schon sagen, das ist ziemlich unorthodox«, fand Father Finnigan, als sie ihn aufforderten, sich vor den Steinen aufzustellen und nach Osten zu blicken.
»Bitte! Es ist wichtig für Sarah«, bat Jessica.
»Na gut.« Er zuckte mit den Schultern und begann zu sprechen. »Meine Lieben, wir sind hier heute zusammengekommen, um von … Sarah Flynn O'Riley Abschied zu nehmen, die diese Erde vor langer Zeit verlassen hat …«
Im selben Augenblick stieg plötzlich vom Wasser aus ein heulender Wind auf, dessen Kraft die Zweige der Bäume schwanken ließ und an ihren Kleidern riss. Die Grasbüschel tanzten dazu wild im Wind. Innerhalb von Sekunden wurde das Heulen zu einem hohen Kreischen, so schrill, dass sie sich die Ohren zuhielten. Doch dann ließ der Wind so abrupt nach, wie er begonnen hatte, und machte die nachfolgende friedliche Stille umso
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