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Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)

Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynne Wilding
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Betrachtung der vom unaufhörlich rollenden Ozean im Laufe der Zeit glatt gewaschenen Steine auf, als ein greller Blitz in die kochende See einschlug. Das Wetter spiegelte ihre Gefühle wider, denn ihr Zorn glich dem des nahenden Sturms, und die grollenden Geräusche der Natur in übelster Stimmung passten zu ihrer eigenen düsteren Laune.
    Ihr Blick streifte über die Bucht und registrierte, wie sich haushohe Wellen gegen die Felsen warfen. Der Wind hatte ihre Spitzen zu schäumenden Kämmen geformt, die ein paar Sekunden auf ihrem Gipfel thronten, nur um sich dann einzurollen und zusammenzufallen, immer wieder, bis nur noch kleine Kräuselwellen übrig blieben.
    Der Ozean war genauso ruhelos wie sie selbst, ständig in Bewegung. Hatte sie solche Szenen nicht schon so lange beobachtet? Wartend …? Zu lange. Wartend auf eine Veränderung in ihrem Dasein, die sie befreien würde. Endlich.
    Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, und die Nägel, von denen einige abgebrochen und andere lang waren, gruben sich so fest in die Handflächen, dass sie die Haut durchdrangen. Als sie die Finger wieder öffnete, betrachtete sie den Schaden, den sie auf der Haut angerichtet hatte, und stellte sich die gleiche Frage wie jeden Tag: Wie lange soll ich das noch ertragen? Ich habe schon eine Ewigkeit ge
    wartet – so zumindest kam es ihr vor. Lieber Gott, erbarme Dich meiner …
    Sie stand auf, breitbeinig, um dem böigen Wind standzuhalten, und hob in einer flehenden Geste beide Arme über den Kopf zum Himmel empor. Bitte, lieber Gott, mach, dass es ein Ende hat mit dieser … dieser Leere, diesem Nichts . Nur der Wind gab ihr Antwort. Wie ein lebendiges Wesen zupfte er an ihrer Kleidung und ließ sie um ihre Glieder flattern, breitete ihr langes Haar fächerartig über ihrem Gesicht aus und verschleierte so ihren schmerzverzerrten Gesichtsausdruck. Er flüsterte und pfiff und versagte ihr doch die Antwort, die sie ersehnte.
    Ihre Kehle schnürte sich zusammen, und von ihren Lippen löste sich ein Schrei, unmenschlich in seiner Verzweiflung. » Helft mir! Bitte, so hilf mir doch jemand! «
     
    Einen Kilometer von der Küste entfernt, in einem Pinienhain, hielt ein verwittertes Holzhaus dem Sturm stand, wie es das seit über achtzig Jahren getan hatte. Hinter dem Haus stand ein im Vergleich dazu überdimensional großer Schuppen.
    Im Inneren des Schuppens waren drei Wände mit Regalen verstellt, auf denen Keramiken in unterschiedlichen Fertigungszuständen standen. An der Töpferscheibe saß eine Frau mit nassen, lehmigen Händen und begann, einen Lehmklumpen zu einer breiten, niedrigen Obstschale zu formen.
    Der Pony von Nan Duncans kurzen, einstmals blonden, mittlerweile aber mit Grau durchzogenen Haaren, fiel ihr ins Gesicht. Ungeduldig schob sie die Strähnen zurück, wobei sie einen Lehmstreifen über ihre Stirn zog. Nan wurde in viereinhalb Monaten fünfzig und hatte vier ungezogene Kinder großgezogen, die mittlerweile alle erwachsen waren und zwischen Australien und Neuseeland verstreut lebten. Die Tatsache, dass sie früh Witwe geworden war und gelegentlich hart für ihr Auskommen arbeiten musste, obwohl sie eine talentierte Töpferin war, stand ihr ins Gesicht geschrieben. Es war ein Leben mit Höhen und Tiefen gewesen. Kräftige Furchen zogen sich über ihr Gesicht und ihren Hals, doch minderten sie irgendwie nicht die frische, vom Leben im Freien geprägte Anziehungskraft ihres Gesichtes. Hinter der Bifokalbrille glänzten graue Augen, und ihr ein wenig zu breiter Mund schien immer zu lächeln, trotz ihres schweren Lebens. Sie war so schlank, dass es schon fast dürr schien. Ihre Arbeitskleidung bestand aus einem alten Pullover mit Jeansflicken an den Ellbogen und ausgefransten Ärmeln, einem Schottenrock, rotgestreiften Socken und lehmverschmierten Turnschuhen.
    Ein plötzlicher Windstoß bog einen hohen Busch so weit um, dass seine Äste auf dem Sprossenfenster des Schuppens, den ihre Familie augenzwinkernd als ihr Atelier bezeichnet hatte, einen lauten Trommelwirbel schlugen. Doch das Stakkato der Zweige wurde von einem schrillen Heulen übertönt.
    Nans Hände hielten in ihrer rastlosen Bewegung inne. Das Lächeln gefror. Die Finger, die in letzter Zeit die ersten Anzeichen einer rheumatischen Arthritis zeigten, versteiften sich. Ihr Kopf flog empor, ihr Körper erstarrte, und ihr Herzschlag beschleunigte sich, während das durchdringende Geräusch sich ihr ins Gehirn, dann in ihr Herz und schließlich in ihre Seele

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