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Das Lied der Sirenen

Das Lied der Sirenen

Titel: Das Lied der Sirenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Desinteresse an seinem Vortrag dadurch zum Ausdruck gebracht hatte, daß man sich demonstrativ keine Notizen gemacht hatte, wollte er wenigstens dem Unterbewußtsein der Leute die bestmögliche Gelegenheit geben, das Flußdiagramm des Prozesses über die Erstellung eines Verbrecherprofils aufzunehmen.
    Er wandte sich wieder den Zuhörern zu. »Ich brauche Ihnen nicht vorzutragen, was Sie längst wissen. Psychologen, die Verbrecherprofile erstellen, schnappen keine Kriminellen. Das machen unsere Bobbys.« Er schaute lächelnd in die Gesichter der hochrangigen Polizeibeamten und Beamten des Innenministeriums, wollte sie dazu bringen, seine Bescheidenheit anzuerkennen. Einige taten es, lächelten zurück, die meisten aber sahen ihn weiterhin mit steinerner Miene an.
    Tony wußte, was er auch anstellte, er konnte die Masse der leitenden Polizeibeamten nicht davon überzeugen, daß er kein theoretisierender Universitätsprofessor war, der sich anmaßte, ihnen zu sagen, wie sie ihren Job zu machen hatten. Er unterdrückte einen Seufzer, warf einen Blick auf sein Konzept und fuhr fort, während er versuchte, soviel Augenkontakt wie nur möglich herzustellen und die lässige Körpersprache der erfolgreichen, witzigen Redner zu imitieren, auf die er bei einer Studie über das Clubleben in Nordengland gestoßen war. »Aber manchmal sehen wir Psychologen, die wir Verbrecherprofile erstellen, die Dinge anders«, sagte er. »Und diese neue Perspektive kann alles in einem anderen Licht erscheinen lassen. Tote haben durchaus noch etwas zu berichten, und was sie Profilerstellern erzählen, ist nicht das gleiche wie das, was sie Polizeibeamten sagen.
    Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben. Drei Meter neben einer Straße wird im Gebüsch eine Leiche gefunden. Ein Polizist hält diese Tatsache natürlich fest. Er wird den Boden in der ganzen Umgebung nach Spuren absuchen. Gibt es Fußspuren? Hat der Mörder irgend etwas zurückgelassen? Sind Stoffasern an Ästen hängengeblieben? Aber für mich ist diese einzige Tatsache nur der Ausgangspunkt für Überlegungen, die, in Verbindung mit allen anderen Informationen, welche mir verfügbar sind, sehr wohl zu nützlichen Schlüssen über die Person des Mörders führen können. Ich werde mich fragen: Wurde die Leiche absichtlich hier abgelegt, oder war der Mörder nur zu kaputt, sie an einen entfernteren Ort zu schleppen? Kam es ihm darauf an, die Leiche zu verstecken, oder war er vornehmlich darauf aus, sie loszuwerden? Wollte er, daß die Leiche gefunden wird? Wie lange sollte seiner Absicht nach die Leiche unentdeckt bleiben? Hatte dieser Ort eine besondere Bedeutung für ihn?« Tony hob die Schultern und streckte die Hände in einer fragenden Geste aus. Die Zuhörer beobachteten ihn weiterhin unbewegt. Mein Gott, wie viele Tricks mußte er noch aus dem Hut ziehen, ehe eine Reaktion erfolgte? Das leichte Prickeln der Schweißtropfen in seinem Nacken wurde zu einem Rinnsal, das zwischen seiner Haut und dem Hemdkragen herunterlief. Es verursachte ein unangenehmes Gefühl, das ihn daran erinnerte, wer wirklich hinter der Maske steckte, die er für diesen öffentlichen Auftritt aufgesetzt hatte.
    Tony räusperte sich, streifte ab, was er fühlte, wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem zu, was er sagen wollte und fuhr fort: »Ein Verbrecherprofil ist nichts anderes als ein weiteres Werkzeug, das den Untersuchungsbeamten der Polizei helfen kann, sich auf den Kern der Ermittlungen zu konzentrieren. Unser Job ist es, dem Bizarren einen Sinn zu geben. Wir können Ihnen nicht den Namen, die Adresse oder die Telefonnummer eines Verbrechers nennen. Aber was wir tun
können,
ist, Ihnen aufzuzeigen, um welche Art von Persönlichkeit es sich handeln muß, die da ein Verbrechen mit besonderen Charakteristika begangen hat. Manchmal vermögen wir auch Hinweise darauf zu geben, in welcher Gegend der Verbrecher höchstwahrscheinlich lebt und welcher Arbeit er vermutlich nachgeht.
    Ich weiß, einige von Ihnen haben die Notwendigkeit angezweifelt, eine Nationale Einsatzgruppe zur Erstellung von Verbrecherprofilen ins Leben zu rufen. Sie stehen damit nicht allein da. Auch in den liberalen, auf extreme Nutzung der freiheitlichen Rechte in unserem Land bedachten Kreisen lehnt man sich dagegen auf.« Na endlich, dachte Tony mit einiger Erleichterung, als er Lächeln und Nicken in der Zuhörerschaft wahrnahm. Er hatte vierzig Minuten gebraucht, bis es soweit war, aber nun war es ihm schließlich doch gelungen,

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