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Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Bouvier
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Kleid, das mit zarter schwarzer Spitze verbrämt war und duftig über einen breiten Reifrock fiel, stand ihr wirklich hervorragend. Die Frisur passte nicht dazu, aber wie Marie wusste, hatte Stella bereits Mrs Giles Bescheid gegeben, einer Dame aus dem inneren Kreis der Kirchengemeinde, die sich ihrer Haare mit dem Lockenstab annehmen wollte.
    Während eine von Mrs Nichols’ Gehilfinnen ein schwarzes Taftkleid mit weißer Spitze vorsichtig in einen länglichen Korb packte, zupfte eine zweite das blaue Kleid zurecht, das wohl gerade auf die Figurine gehängt worden war.
    Marie stockte der Atem. So ein Kleid hatte sie noch nie zuvor gesehen! Gemäß ihrer Weisung hatte Mrs Nichols auf einen breiten Reifrock verzichtet und das Kleid eher nach Londoner Mode gefertigt – mit einer schmalen Linie, die Maries schlanke Figur ausgezeichnet zur Geltung brachte.
    »Ah, da bist du ja!«, rief Stella geschäftig, während sie an den Knöpfen ihres Kleides nestelte. Wahrscheinlich hatte ihre Anprobe ein wenig länger gedauert. »Schlüpf schon mal aus deinen Sachen, Mrs Nichols kümmert sich gleich um dich.«

29. Kapitel

    Eigentlich verliefen die Samstage recht beschaulich in Stellas Haus. Marie korrigierte meist Hausarbeiten und bereitete ihren Unterricht für die kommende Woche vor. Wenn Stella sie darum bat, ging sie in der Stadt ein paar Besorgungen machen oder half in der Küche.
    Doch am Vormittag vor dem Ball war alles anders. Die sonst eher traurigen Räume verwandelten sich in ein Tollhaus aus Kleidern und Schuhen, in dessen Luft sich der Duft von Rosenwasser und angesengten Haaren mischte.
    Da Rose furchtbare Angst davor hatte, dass ihr Haar mit der Lockenschere ruiniert werden würde, musste Marie ihr tröstend zur Seite stehen.
    »Ja, halten Sie ihr die Hand, Miss«, sagte Mrs Giles ungeduldig. »Sonst komme ich bei dem ganzen Gewackel noch an ihre Kopfhaut, und dann ist das Geschrei groß.«
    Als die Prozedur vorüber war, hatte Rose zwar einige Haare eingebüßt, aber eine heile Kopfhaut behalten und zudem eine wunderschöne Lockenfrisur gewonnen. Marie beschränkte sich darauf, nur das Nötigste an ihrer Steckfrisur machen zu lassen, damit viel Zeit für Stella blieb, die hochtrabende Pläne hatte.
    Als es am Nachmittag daranging, die Kleider anzulegen, fühlte sich Marie bereits furchtbar erschöpft. Nicht einmal die Strapazen auf dem Treck waren so schlimm gewesen! Doch Stella kannte kein Erbarmen. Damit die Korsetts ordentlich geschnürt werden konnten, versagte sie ihnen die Mittagsmahlzeit; auch Tee würde es nicht geben.
    »Wenn ihr zu viel trinkt, werdet ihr heute Abend keine Luft mehr bekommen«, mahnte sie, bevor sie Miss Giles anfeuerte, ihr Korsett noch ein wenig fester zu ziehen.
    Mit Einbruch der Abenddämmerung war Marie so weit, dass sie sich im Spiegel betrachten konnte. Ein völlig veränderter Mensch blickte sie an. Das Kleid lag perfekt an, das Korsett, obwohl unangenehm zu tragen, unterstrich ihre Linie. Die Locken, die Mrs Giles mit ihrer Zange geformt hatte, hielten nicht mehr ganz so gut wie in der ersten Stunde, doch dadurch, dass sie ein wenig aufgelöst waren, wirkten sie umso natürlicher.
    Auch Rose schien mit sich zufrieden zu sein. Gedankenverloren stand sie vor dem Spiegel und betrachtete sich, als würde sie sich zum ersten Mal sehen, was Marie ein wenig zum Schmunzeln brachte. Sollte es ihr endlich gelungen sein, sie ein wenig aufzutauen?
    »Meine Damen, seid ihr fertig?«, tönte es da durchs Haus. Schritte näherten sich der Salontür. »Ich hoffe, ihr seid bereits angezogen.«
    »Aber natürlich, mein Junge«, flötete Stella. »Komm nur herein und betrachte unsere Kunstwerke.«
    Jeremy trug einen langen schwarzen Gehrock mit schwarzer Krawatte über dem blütenweißen Hemd. Unter den dunkelgrauen Hosenbeinen glänzten blank polierte Schuhe. Auf den ersten Blick hätte ihn niemand für einen Geistlichen gehalten.
    Als er durch die Tür trat, riss er verwundert die Augen auf. Maries Anblick fesselte ihn auf der Stelle. »Du … siehst wunderschön aus.« Nach einer verlegenen Pause fügte er hinzu: »Ihr alle seht wunderschön aus.«
    »Danke, mein Lieber!«, flötete Stella, die in dem neuen Kleid ebenfalls wesentlich jünger aussah.
    Jeremy nickte ihr zu, richtete den Blick dann aber wieder auf Marie. Endlich nimmt er mich mal als Frau wahr, dachte sie zufrieden. Als er sie zur Kutsche führte, kribbelte es wohlig in ihrer Magengrube. Vielleicht habe ich ja doch Gefühle für

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