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Das Lied des Achill

Das Lied des Achill

Titel: Das Lied des Achill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeline Miller
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edelstem Blut und unübertrefflichen Gaben. Thetis dagegen war eine geringere unter den geringeren Gottheiten, nur eine Nymphe. In unseren Geschichten buhlten solche geringeren um die Gunst der höheren Götter mit Schmeicheleien und Überredungskunst. Von sich aus vermochten sie nicht viel, außer ewig zu leben.
    »Woran denkst du?« Es war Achill, der mich gesucht hatte. Seine Stimme tönte laut durch den stillen Olivenhain, doch ich erschrak nicht. Ich hatte erwartet, dass er zu mir kommen würde.
    »An nichts«, sagte ich, was nicht ganz der Wahrheit entsprach.
    Er setzte sich neben mich. Seine bloßen Füße waren voller Staub.
    »Hat sie dir gesagt, dass du bald sterben wirst?«
    Ich schaute ihn verblüfft an.
    »Ja«, antwortete ich.
    »Tut mir leid.«
    Der Wind wehte durch die silbergrauen Blätter über uns. Ich hörte ein paar Früchte von den Bäumen fallen.
    »Sie will, dass aus dir ein Gott wird«, berichtete ich.
    »Ich weiß.« Er war sichtlich verlegen, was mich ein wenig erleichterte, denn nur Menschen gerieten in Verlegenheit, allzumal Kinder, und zwar häufig ihrer Eltern wegen.
    Aber die eigentliche Frage war noch nicht gestellt, und ich brannte auf eine Antwort.
    »Möchtest du –« Ich stockte betreten, obwohl ich mir, während ich auf ihn gewartet hatte, die Frage genau zurechtgelegt und mir Mut zugesprochen hatte. »Möchtest du ein Gott sein?«
    Seine grünen Augen waren dunkel im Dämmerlicht, doch zum Glück konnte ich keine goldenen Flecken darin ausmachen. »Ich weiß nicht«, antwortete er schließlich. »Ich weiß nicht, was es für mich bedeuten würde oder wie es dazu kommen könnte.« Er blickte auf seine Hände, die auf den Knien ruhten. »Ich will nicht von hier fort. Und überhaupt, wann wäre es so weit? Schon bald?«
    Ich wusste keinen Rat. Wie Götter gemacht wurden, entzog sich meiner Vorstellung. Ich war ja doch nur ein Sterblicher.
    Er legte die Stirn in Falten und hob die Stimme. »Und gibt es tatsächlich so etwas wie den Olymp? Außerdem weiß sie anscheinend selbst nicht, wie ich dahin aufsteigen könnte. Sie tut nur so und glaubt, wenn ich erst einmal berühmt bin …« Er ließ den Gedanken unausgesprochen.
    Ich versuchte, ihn auszuführen. »Dann werden die Götter dich zu sich nehmen.«
    Er nickte. Meine Frage war aber immer noch nicht beantwortet.
    »Achill.«
    Er wandte sich mir zu und schien verwirrt und verzweifelt zu sein. Er war erst zwölf.
    »Möchtest du ein Gott sein?« Diesmal fiel es mir leichter, die Frage zu stellen.
    »Jetzt noch nicht«, antwortete er.
    Meine Anspannung, der ich mir bislang gar nicht bewusst gewesen war, löste sich ein wenig. Immerhin würde ich ihn so bald nicht verlieren.
    Er fasste sich mit der Hand ans Kinn und sah noch schöner aus als sonst, wie aus Marmor gehauen. »Aber ich wäre gern ein Held. Ich hätte wohl auch das Zeug dazu, wenn die Weissagung zutrifft. Meine Mutter sagt, ich würde sogar stärker sein, als es Herakles jemals war.«
    Ich war sprachlos und wusste nicht, was ich davon halten sollte. War es die Voreingenommenheit einer Mutter, die das sagte, oder eine Tatsache? Doch das interessierte mich nicht weiter. Noch nicht .
    Er schwieg eine Weile, wandte sich mir dann plötzlich zu und fragte: »Willst du, dass ein Gott aus mir wird?«
    Dort, zwischen Moos und Oliven, kam mir diese Vorstellung einigermaßen komisch vor. Ich lachte, und wenig später lachte auch er.
    »Ich halte das für nicht sehr wahrscheinlich«, sagte ich.
    Ich stand auf und streckte die Hand aus, um ihm aufzuhelfen. Unsere Kleider waren voller Staub, und das getrocknete Salzwasser an meinen Füßen kribbelte mir auf der Haut.
    »In der Küche gibt’s Feigen. Ich habe sie gesehen«, sagte er.
    Wir waren erst zwölf, zu jung, um lange zu grübeln.
    »Ich wette, ich kann mehr davon in mich hineinstopfen als du.«
    »Wer zuerst da ist.«
    Ich lachte und wir rannten los.

Siebtes Kapitel
    I m Sommer darauf wurden wir dreizehn, zuerst er, dann ich. Wir wuchsen, und es zerrte uns in den Gelenken, dass es wehtat. Mit meinen dünnen Storchenbeinen und dem spitzen Kinn erkannte ich mich in Peleus’ blank poliertem Bronzespiegel kaum wieder. Achill war noch größer als ich. Er schoss regelrecht in die Höhe, was vielleicht vom göttlichen Blut herrührte, das durch seine Adern floss.
    Auch die anderen Jungen wuchsen heran. Hinter verschlossenen Türen hörte man manchmal ein unterdrücktes Stöhnen, und so mancher Schatten huschte kurz vor

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