Das Lied des Achill
Badewasser.« Danach schliefen wir wieder.
Eines Morgens im Frühling – es war mein zweiter Frühling im Palast – kam er später als gewöhnlich von seinem Besuch zurück. Die Sonne ging gerade hinter dem Horizont auf, und auf den Hügeln tönten die Glocken der Ziegen.
»Geht es ihr gut?«
»Ja. Sie will dich kennenlernen.«
Ich erschrak, ließ mir aber nichts anmerken. »Meinst du, ich sollte?« Ich wusste, dass sie Sterbliche verabscheute, und konnte mir nicht vorstellen, weshalb sie mich kennenlernen wollte.
Er schaute mich nicht an und spielte mit einem Stein, den er gefunden hatte. »Es passiert dir schon nichts. Morgen Nacht, sagt sie.« Das war ein Befehl. Götter baten nicht. Ich kannte Achill gut genug, um zu sehen, dass er verlegen war, was selten vorkam.
»Morgen?«
Er nickte.
Obwohl wir uns sonst gegenseitig nie etwas vormachten, wollte ich ihn diesmal nichts von meiner Angst spüren lassen. »Sollte ich – soll ich ihr ein Geschenk mitbringen? Süßen Wein vielleicht?« Damit besprengten wir an Festtagen die Altäre; es war unsere kostbarste Opfergabe.
Er schüttelte den Kopf. »Das mag sie nicht.«
Als in der nächsten Nacht alles schlief, kletterte ich aus unserem Fenster. Der Halbmond leuchtete so hell, dass ich ohne Fackel den Weg durch die Felsen fand. Achill hatte gesagt, ich solle in der Brandung auf sie warten, sie werde mich abholen, und es sei nicht nötig, sie zu rufen.
Die Wellen waren warm und voll aufgespülten Sandes. Kleine weiße Krabben nahmen von mir Reißaus. Ich lauschte und hoffte, sie hören zu können. Ein milder Wind wehte über den Strand, und ich schloss für einen Moment die Augen. Als ich sie wieder öffnete, stand sie vor mir.
Sie war größer als ich, die größte Frau, die ich je gesehen hatte. Ihre schwarzen Haare fielen lose über den Rücken, und die Haut schimmerte unglaublich fahl und schien das Mondlicht aufzusaugen. Sie war mir so nahe, dass ich sie riechen konnte. Sie duftete nach Salzwasser und dunkelbraunem Honig. Ich hielt die Luft an, wagte es nicht, zu atmen.
»Du bist Patroklos.« Ich zuckte vor Schreck über ihre Stimme zusammen, hatte ich doch einen glockenhellen Klang erwartet und nicht dieses raue Schürfen wie von Kieselsteinen in der Brandung.
»Ja, der bin ich.«
Sie betrachtete mich mit unverhohlenem Abscheu. Ihre Augen waren nicht die eines Menschen, sondern pechschwarz mit goldenen Flecken. Ich brachte es nicht über mich, ihr länger ins Gesicht zu sehen.
»Er wird ein Gott sein«, sagte sie. Weil ich nicht wusste, was ich darauf entgegnen sollte, schwieg ich. Sie beugte sich vor, und ich glaubte schon, sie wollte mich berühren. Doch das tat sie natürlich nicht.
»Verstehst du?« Ich spürte ihren Atem auf meiner Wange, der so kühl war wie die Tiefe des Meeres. Verstehst du? Auch wusste ich von Achill, dass sie es nicht leiden konnte zu warten.
»Ja.«
Sie rückte noch näher an mich heran und überragte mich. Ihr Mund war ein roter Schlitz wie die Wunde eines aufgeschnittenen Opfertiers, blutig und voller Orakel. Dahinter schimmerten Zähne, scharf und weiß wie Knochen.
»Gut.« Und als spräche sie mit sich selbst, fügte sie hinzu: »Du wirst früh genug sterben.«
Dann wandte sie sich um und sprang ins Wasser, ohne dass es aufspritzte.
Ich ging nicht sofort zurück zum Palast. Das war mir einfach nicht möglich. Stattdessen verschlug es mich in den Olivenhain, wo ich mich an einen knorrigen Stamm zwischen gefallenen Früchten auf den Boden setzte, weit weg vom Meer. Ich mochte die salzige Luft nicht riechen.
Du wirst früh genug sterben , hatte sie gesagt, mitleidslos, als Feststellung. Ihr missfiel es offenbar, dass ich der Gefährte ihres Sohnes war, doch mich zu töten kam ihr wohl nicht in den Sinn. Die wenigen Jahrzehnte, die ein Mensch zu leben hatte, waren für eine Göttin kaum der Beachtung wert.
Und sie wollte, dass ihr Sohn in den Götterhimmel aufstieg. Auch das hatte sie so formuliert, als sei es eine Selbstverständlichkeit. Dass er ein Gott wurde. Als solchen konnte ich ihn mir kaum vorstellen. Götter waren hartherzig und so weit entfernt von uns wie der Mond, ganz anders als Achill mit seinen hellen Augen und dem schelmischen Lächeln.
Sie hatte ambitionierte Wünsche, denn es dürfte selbst ihr kein Leichtes sein, einen Halbgott unsterblich werden zu lassen. Gewiss, so etwas hatte es schon gegeben, nämlich in den Fällen Herakles und Orion. Diese Männer aber waren Söhne des Zeus, von
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