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Das Lied des Achill

Das Lied des Achill

Titel: Das Lied des Achill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeline Miller
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bloß: »Danke.«
    Er lächelte. »Alles Gute.« Dann zog er seine Hand wieder zurück, und ich spürte, wie mir ein kühler Wind durch die Haare strich.
    »Wir werden bald wieder zurück sein«, wiederholte Achill.
    Cheirons Augen, von der Sonne abgewandt, waren dunkel. »Ich werde nach euch Ausschau halten«, sagte er.
    Wir schulterten unsere Taschen und verließen die Lichtung vor der Höhle. Es war nach Mittag, der Bote drängte zur Eile. Zügig stiegen wir ins Tal hinab, wo Pferde für uns bereitstanden. Nach so langer Zeit, in der ich ausschließlich zu Fuß unterwegs gewesen war, fühlte ich mich unbeholfen im Sattel, und die Pferde machten mich nervös. Ich erwartete fast, dass sie anfangen würden, mit mir zu sprechen, was natürlich nicht geschah. Immer wieder drehte ich mich um und schaute zurück auf den Pelion und hoffte, die Rosenquarzhöhle erkennen zu können, vielleicht sogar Cheiron. Aber wir waren schon zu weit entfernt. Ich schaute nach vorn und ließ mich nach Phthia führen.

Elftes Kapitel
    D ie Sonne war gerade untergegangen, als wir den Grenzstein passierten, der das Palastgelände markierte. Wir hörten die Rufe der Wachen und als Antwort Hörnerklang. Dann, nach Erreichen der Hügelkuppe, lag der Palast vor uns, dahinter das Meer.
    Und plötzlich wie ein Lichtblitz erschien auf der Schwelle des Hauses Thetis. Ihr schwarzes Haar stach ab vom weißen Marmor dahinter. Sie trug ein Gewand in den Farben der Tiefsee, dunklen Violetttönen, vermischt mit schillerndem Grau. Neben ihr standen Wachen und Peleus, doch ich sah nur sie und die messerscharfe Linie ihres Kiefers.
    »Deine Mutter«, flüsterte ich Achill zu. Ich hätte schwören können, dass mich ihr kalter Blick streifte, als hätte sie meine Worte gehört. Ich schluckte und versuchte, mich mit Cheirons Versprechen zu beruhigen, der gesagt hatte, dass sie mir nichts antun würde.
    Es war sonderbar, sie unter Sterblichen zu sehen, die im Vergleich zu ihr allesamt einen farblosen, fahlen Eindruck machten, obwohl es ihre Haut war, die bleich wie Knochen war. Sie hielt Abstand zu ihnen und ragte in ihrer unnatürlichen Größe hoch auf. Die Wachen hatten ehrfurchtsvoll und ängstlich die Augen niedergeschlagen.
    Achill stieg vom Pferd. Ich folgte. Thetis zog ihn in ihre Arme, und ich sah die Wachen unruhig werden. Sie fragten sich wohl, wie es sein würde, mit dieser Haut in Berührung zu kommen, und waren froh, es nicht zu wissen.
    »Sohn aus meinem Schoß, Fleisch aus meinem Fleisch. Achill«, sagte sie leise, doch ihre Stimme war deutlich zu hören. »Willkommen zu Hause.«
    »Danke, Mutter«, erwiderte Achill. Ihm war klar, dass sie ihn für sich beanspruchte. Wir alle wussten es. Für einen Sohn gehörte es sich, den Vater als Ersten zu grüßen, dann erst die Mutter, wenn überhaupt. Sie aber war eine Göttin. Peleus presste die Lippen aufeinander und schwieg.
    Als sie ihn aus ihren Armen entließ, ging er zum Vater. Auch der sagte: »Willkommen, Sohn.« Seine Stimme klang vergleichsweise schwach, und er schien gealtert. Wir waren drei Jahre fort gewesen.
    »Patroklos, sei auch du herzlich willkommen.«
    Alle Augen richteten sich auf mich, und ich verbeugte mich. Ich fühlte mich schutzlos den scharfen Blicken der Göttin ausgesetzt. Meine Haut schmerzte, als wäre ich durch einen Dornenstrauch gegangen und gleich darauf ins Meer gestiegen. Zum Glück meldete sich Achill zu Wort.
    »Welche Nachrichten gibt es, Vater?«
    Peleus warf einen Blick auf die Wachen. Vermutlich hatten Gerüchte im Palast die Runde gemacht.
    »Ich habe mich dazu noch nicht geäußert und bis zu einer Erklärung deine Ankunft abwarten wollen. Jetzt, da du hier bist, sollen es alle erfahren. Komm.«
    Wir folgten ihm in den Palast. Ich wollte mit Achill sprechen, wagte es aber nicht, denn Thetis war unmittelbar hinter uns. Die Sklaven hielten die Luft an und beeilten sich, ihr, der Göttin, den Weg freizumachen. Lautlos schritt sie über die steinernen Bodenplatten.

    Der große Speisesaal stand voller Tische und Bänke. Dienstboten schwirrten mit Geschirr und schweren Weinkrügen umher. Im vorderen Teil des Raums war ein Podest aufgebaut, auf dem ein Tisch und drei Stühle standen, für den König selbst sowie für seinen Sohn und seine Frau. Meine Wangen glühten. Was hatte ich erwartet?
    Trotz der lärmenden Hektik, mit der Vorbereitungen getroffen wurden, war Achills Stimme laut und deutlich zu hören. »Vater, ich sehe keinen Stuhl, auf dem Patroklos Platz

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