Das Lied des Achill
Neunjähriger erkannte ich, wie passend diese Aufforderung war. Odysseus hatte sich als besonders schlau erwiesen. Bündnisse unter Fürsten und Königen hatten nur dann Bestand, wenn keinem Einzelnen erlaubt wurde, mächtiger zu sein als die anderen. Ich sah, dass manche gehässig grinsten. Odysseus würde sich dem jetzt nicht entziehen können.
Er verzog den Mund zu einem angedeuteten Schmunzeln. »Natürlich. Mit Vergnügen.« Letzteres glaubte ich ihm nicht. Als die Ziege geopfert worden war, hatte ich bemerkt, dass er sich an den Rand lehnte, um in den Hintergrund zu treten. Nun stand er auf und trat vor den Altar.
Er streckte dem Priester seine Arme entgegen und sagte: »Helena, vergiss nicht, dass ich diesen Eid als dein Gefolgsmann leiste und nicht als Freier. Du würdest dir nie verzeihen, mich auserwählt zu haben.« Seine Worte erregten Heiterkeit unter den Männern. Wir alle wussten, dass es einer so strahlenden Frau wie Helena niemals einfallen würde, den König von Ithaka, diesem dürren und kargen Landstrich, zum Mann zu nehmen.
Der Priester rief einen nach dem anderen zur Feuerstelle und markierte ein Handgelenk mit Blut und Asche als Zeichen des Gelübdes. Auch ich sprach den Eid, als ich an die Reihe kam, und hob den Arm, damit alle das Zeichen sehen konnten.
Als schließlich der Letzte auf seinen Platz zurückgekehrt war, stand Tyndareos auf. »Triff nun deine Wahl, meine Tochter.«
»Menelaos«, sagte sie, ohne zu zögern, was uns alle verblüffte. Wir hatten mit einer spannenderen Entscheidung gerechnet und erwartet, dass sie sich Zeit lassen würde. Ich schaute den rothaarigen Mann an, der nun aufstand und übers ganze Gesicht grinste. Überglücklich, wie es schien, gab er seinem schweigenden Bruder einen Klaps auf den Rücken. Alle anderen zeigten sich wütend, enttäuscht oder gar betrübt. Aber keiner griff nach seinem Schwert. Das Blut auf den Handgelenken war getrocknet.
»So möge es geschehen.« Auch Tyndareos hatte sich von seinem Thron erhoben. »Und dein ehrenwerter Bruder Agamemnon soll ebenfalls nicht mit leeren Händen nach Hause zurückkehren.« Er zeigte auf die größere der Frauen. »Klytämnestra, meine andere Tochter, sei seine Braut.« Die Frau, nach wie vor verschleiert, rührte sich nicht. Ich fragte mich, ob sie die Worte ihres Vaters gehört hatte.
»Was ist mit dem dritten Mädchen?« Die Frage, laut in die Halle hinausgerufen, kam von einem kleinen Mann, der neben dem Riesen Ajax stand. »Deine Nichte. Kann ich sie haben?«
Die Männer lachten, erleichtert darüber, dass sich die Anspannung löste.
»Du kommst zu spät, Teukros«, sagte Odysseus über das allgemeine Gelächter hinweg. »Sie ist bereits mir versprochen.«
Mehr konnte ich nicht hören. Mein Vater zerrte mich von der Bank. »Wir haben hier nichts mehr verloren.« Noch in derselben Nacht machten wir uns auf den Heimweg. Ich bestieg meinen Esel, enttäuscht und voller Bedauern, die sagenhaft schöne Helena nicht einmal zu Gesicht bekommen zu haben.
Mein Vater kam auf diese Reise nie mehr zu sprechen, und in meiner Erinnerung nahmen die Ereignisse von damals eine sonderbare Färbung an. Das Blut des Opfertiers, der Raum voller Könige – all das erschien mir fern und blass, fast so, als hätte ich es nicht selbst erlebt, sondern nur von einem Sänger vorgetragen gehört. War ich tatsächlich vor Tyndareos auf die Knie gegangen? Und was hatte es mit diesem Schwur auf sich? Allein daran zu denken erschien mir abwegig, töricht und so unwirklich wie ein Traum.
Drittes Kapitel
I ch war auf dem Feld und hielt zwei Würfel in der Hand, ein Geschenk. Nicht von meinem Vater, der an so etwas nie gedacht hätte. Auch nicht von meiner Mutter, die mich manchmal nicht erkannte. Ich weiß selbst nicht mehr, wer sie mir gab. Ein König, der bei uns zu Besuch gewesen war? Ein Höfling, der sich einzuschmeicheln versucht hatte?
Die Würfel waren aus Elfenbein geschnitzt und mit kleinen Onyx-Einlagen versehen, vollkommen glatt unter meinem Daumen. Es war Spätsommer, und ich rang, außer Atem nach dem schnellen Lauf hinaus aus dem Palast, nach Luft. Seit dem Wettkampf damals hatte man mir einen Mann zur Seite gestellt, der mich in unseren athletischen Disziplinen unterrichten sollte: Boxen, Schwert- und Speerkampf, Diskus. Aber ich war vor ihm davongelaufen und wie benommen vor Freude darüber, seit Wochen endlich einmal wieder allein sein zu können.
Plötzlich tauchte dieser Junge auf. Er hieß Kleitonymos
Weitere Kostenlose Bücher