Das Lied des Achill
und kämmen ließ. Doch die Tunika, die ich anzog, gefiel ihm nicht, und ich musste mich umkleiden. Ich gehorchte, obwohl ich keinen Unterschied sah zwischen dem gold-violetten und dem mit Gold verwirkten purpurnen Gewand. Weder das eine noch das andere bedeckte meine knochigen Knie. Mein Vater sah mächtig und streng aus mit seinem schwarzen Bart. Das Geschenk für Tyndareos stand bereit, eine goldene Schale, in die die Geschichte der Prinzessin Danaë eingeprägt war. Zeus hatte sich in einen Goldregen verwandelt und sie verführt, worauf sie Perseus gebar, den Bezwinger der Gorgone Medusa und nach Herakles unser zweitgrößter Held. Mein Vater gab mir die Schale. »Mach uns keine Schande«, sagte er.
Schon von weitem war der Lärm zu hören, der aus dem großen Saal schallte. Zahllose Stimmen und das Klirren von Kelchen und Rüstzeug hallten von den Wänden wider. Um den Lärm zu dämpfen, hatten die Sklaven die Fenster geöffnet und den Raum mit kostbaren Wandteppichen ausgekleidet. Ich hatte noch nie so viele Männer in einem Raum gesehen. Nein, nicht bloß Männer, Könige.
Wir wurden nach vorn gerufen, um Rat zu halten, und nahmen auf Bänken Platz, die mit Kuhhäuten bezogen waren. Die Diener wichen in den Schatten der Winkel zurück. Mein Vater hielt mich am Kragen gepackt, damit ich nicht zappelte.
Unter so vielen Prinzen und Helden und Königen, die alle dasselbe wollten, herrschte eine feindselige Stimmung, aber wir wussten uns zu benehmen. Einer nach dem anderen stellte sich vor, junge Männer mit glänzenden Haaren, von edler Statur und kostbar gekleidet. Viele waren Söhne oder Enkel von Göttern, und alle sangen ein oder zwei oder noch mehr Lieder, die von ihren großen Taten erzählten. Tyndareos begrüßte sie alle und nahm ihre Geschenke entgegen, die in der Mitte des Saals aufgehäuft wurden. Einen nach dem anderen forderte er auf, zu sprechen und sein Anliegen vorzutragen.
Mein Vater war der Älteste, abgesehen von jenem Mann, der sich, als er an die Reihe kam, Philoktetes nannte. »Ein Gefährte des Herakles«, flüsterte uns der Mann zu, der neben uns saß, und ich war sehr beeindruckt. Herakles war unser größter Held und Philoktetes sein engster Freund, der einzige, der noch lebte. Er hatte graue Haare und große sehnige Hände, die ihn als Bogenschützen verrieten. Und tatsächlich hob er wenig später den größten Bogen in die Höhe, der mir je zu Gesicht gekommen war, eine Waffe aus dem polierten Holz einer Eibe und am Griff mit Löwenhaut umwickelt. »Der Bogen des Herakles«, erklärte Philoktetes. »Er gab ihn mir, als er starb.« In unserer Gegend wurden Bögen verspottet als Waffen für Feiglinge. Aber das mochte über diesen Bogen niemand sagen. Keiner hätte die Kraft gehabt, ihn zu spannen.
Der nächste Bewerber, der zu Wort kam, hatte seine Augen wie eine Frau bemalt. »Idomeneus, König von Kreta«, stellte er sich vor. Er war schlank, und seine Haare reichten ihm bis zur Hüfte. Als Geschenk präsentierte er ein seltenes Eisen, eine Doppelaxt. »Das Symbol meines Volkes.« Seine Bewegungen erinnerten mich an die Tänzer, die meine Mutter so liebte.
Und dann war da Menelaos, Sohn des Atreus. Er saß neben seinem Bruder Agamemnon, einem Bären von Mann. Menelaos hatte erstaunlich rote Haare, von einer Farbe wie glühende Bronze. Er war kräftig, muskelbepackt und sehr agil. Als Geschenk überreichte er ein kostbares, wunderschön gefärbtes Tuch. »Obwohl die Jungfer keine solche Zierde nötig hat«, fügte er lächelnd hinzu. Ein hübsches Kompliment. Ich wünschte, einen ähnlich gescheiten Satz vortragen zu können, war ich doch nur einer von zwanzig Bewerbern und leider nun einmal kein Gotteskind. Allenfalls der blonde Sohn des Peleus wäre ihm vielleicht ebenbürtig gewesen, doch den hatte sein Vater zu Hause gelassen.
Freier um Freier gab sich die Ehre, und ihre Namen schwirrten mir durch den Kopf. Meine Aufmerksamkeit wanderte in Richtung Podest, auf dem neben Tyndareos drei verschleierte Frauen saßen. Ich starrte auf die weißen Tücher, die ihre Gesichter verhüllten, als könnte es mir vielleicht gelingen, einen Blick von ihnen zu erhaschen. Mein Vater wollte, dass ich eine dieser Frauen zur Gemahlin nehme. Ihre Hände lagen, mit Armreifen reich geschmückt, ruhig in ihren Schößen. Eine Frau war größer als die beiden anderen. Ich glaubte, eine dunkle Locke unter dem Rand des Schleiers wahrnehmen zu können. Ich erinnerte mich jedoch, dass Helena helles Haar
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