Das Lied des Achill
hatte. Sie also war es nicht. Den Königen hörte ich schon nicht mehr zu.
»Willkommen, Menoitios.« Den Namen meines Vaters zu hören, schreckte mich auf. Tyndareos schaute uns an. »Es tut mir leid, erfahren zu müssen, dass deine Frau gestorben ist.«
»Meine Frau lebt, Tyndareos. Es ist mein Sohn, der gekommen ist, um deine Tochter zur Frau zu nehmen.« Es wurde still in der Halle. Ich ging in die Knie und sah mich den Blicken aller Anwesenden ausgesetzt, was mir Schwindel bereitete.
»Dein Sohn ist noch kein Mann.« Es schien mir, als spräche Tyndareos aus weiter Ferne. Ich konnte seiner Stimme nichts entnehmen.
»Das muss er auch nicht sein. Ich bin Manns genug für uns beide.« Unsereins liebte solche Scherze, keck und prahlerisch vorgetragen. Doch hier lachte niemand.
»Verstehe«, entgegnete Tyndareos.
Meine Knie schmerzten auf dem harten Steinboden, doch ich rührte mich nicht. Ich war daran gewöhnt, und zum ersten Mal war ich froh darüber.
Mein Vater sprach in die Stille hinein: »Andere haben Bronze und Wein, Öl und Wolle mitgebracht. Ich aber bringe Gold, und dies ist nur ein kleiner Teil meiner Schätze.« Ich hielt die goldene Schale in der Hand und spürte die Gestalten der Geschichte unter den Fingern: den Göttervater Zeus, herabsteigend als Goldregen, die erschrockene Prinzessin, die Zusammenkunft der beiden.
»Meine Tochter und ich sind dankbar für ein solch kostbares Geschenk, auch wenn es anscheinend nur ein kleines ist.« Unter den Königen wurde ein Raunen laut. Mein Vater schien nicht zu verstehen, wie demütigend seine Worte wirken mussten. Ich aber errötete.
»Ich will Helena zur Königin meines Palasts machen. Wie du weißt, ist meine Frau nicht imstande zu herrschen. Ich bin reicher als alle, die hier anwesend sind, und meine Taten sprechen für sich.«
»Ich dachte, dein Sohn bewirbt sich um die Braut.«
Die neue Stimme ließ mich aufblicken. Sie gehörte einem Mann, der noch nichts gesagt hatte und in entspannter Haltung am Ende der langen Bank saß. Seine lockigen Haare leuchteten im Feuerschein. Er hatte eine lange Narbe am Unterschenkel, die sich als helle, krumme Spur auf der dunklen Haut seiner muskulösen Wade abzeichnete und von der Ferse bis unter den Saum des Schurzes reichte. Sie rührte wohl, wie ich vermutete, von einer schartigen Klinge her, einem Gewaltakt, über den die zarten, weichen Ränder jetzt hinwegtäuschten.
Mein Vater reagierte verärgert. »Sohn des Laertes, ich erinnere mich nicht, dir das Wort erteilt zu haben.«
Der Mann lächelte. »Wohl wahr, ich habe mir selbst das Wort erteilt. Aber keine Sorge, ich werde dir nicht in die Quere kommen. Ich bin nur als Beobachter hier.« Eine kleine Bewegung führte meinen Blick zurück auf das Podest. Eine der verschleierten Gestalten hatte sich gerührt.
»Was soll das heißen?« Mein Vater runzelte die Stirn. »Wenn nicht wegen Helena, weswegen ist er dann gekommen? Soll er doch zu seinen Felsen und Ziegen zurückkehren.«
Der Mann zog die Brauen in die Stirn, sagte aber nichts.
Auch Tyndareos blieb gelassen. »Wenn sich, wie du sagst, dein Sohn um meine Tochter bewirbt, so lass ihn doch für sich sprechen.«
Selbst mir war bewusst, dass ich mich nun vorzustellen hatte. »Ich bin Patroklos, Sohn des Menoitios.« Weil ich lange nichts gesagt hatte, klang meine Stimme rau und holprig. »Ich möchte Helena zur Frau nehmen. Mein Vater ist König und der Sohn von Königen.« Mehr wusste ich nicht vorzutragen. Mein Vater hatte mich nicht vorbereitet und wohl auch nicht damit gerechnet, dass Tyndareos mich zu reden auffordern würde. Ich stand auf, trug die Schale zu den anderen Geschenken und legte sie vorsichtig ab. Anschließend kehrte ich auf meinen Platz auf der Bank zurück, erleichtert darüber, weder gezittert zu haben noch gestolpert zu sein, und ich hatte mich auch nicht mit meinen Worten zum Narren gemacht. Dennoch brannte mein Gesicht vor Verlegenheit. Ich ahnte, was diese Männer von mir hielten.
Doch mein peinlicher Auftritt schien schon bald vergessen zu sein. Als nächster Bewerber ging ein riesiger Mann auf die Knie, um einiges größer und breiter als mein Vater. Hinter ihm hatten zwei Sklaven einen gewaltigen Schild aufgerichtet, der anscheinend zu seiner Ausstattung gehörte und von den Füßen bis zur Krone reichte. Ein normaler Sterblicher hätte ihn unmöglich allein tragen können. Und ein Schmuckstück war es nicht. Tiefe Kerben und Einschnitte zeugten von seinem Einsatz im
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