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Das Lied des Achill

Das Lied des Achill

Titel: Das Lied des Achill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeline Miller
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und war der Sohn eines Edelmanns, der häufig in unserem Palast zu Gast war. Er war älter und größer als ich und unangenehm stämmig. Offenbar hatte er es auf die Würfel in meiner Hand abgesehen, denn er streckte seine Hand aus und sagte: »Lass mal sehen.«
    »Nein.« Ich wollte nicht, dass er sie mit seinen schmutzigen Fingern begrabschte. Ich war zwar kleiner, aber immerhin ein Prinz. Hatte ich nicht das Recht, nein zu sagen? Allerdings waren diese Söhne von Edelmännern daran gewöhnt, alles von mir verlangen zu können, was sie wollten. Sie wussten, dass mein Vater nie einschreiten würde.
    »Gib her!« Er machte sich nicht einmal die Mühe, mir zu drohen. Dafür hasste ich ihn. Mir zu drohen wäre das Wenigste gewesen, was ich an Respekt verlangen durfte.
    »Nein.«
    Er trat auf mich zu. »Ich will sie haben.«
    »Sie gehören mir.« Ich zeigte ihm die Zähne wie Hunde, die um das kämpften, was vom Tisch zu Boden fällt.
    Er streckte die Hand aus, doch ich stieß ihn zurück. Er stolperte, worüber ich mich freute. Ich würde ihm nicht geben, was mir gehörte.
    »He!«, brüllte er wütend. Ich war so klein, und viele hielten mich für dumm. Es wäre eine Schmach für ihn, wenn er sich von mir abweisen ließe. Hochrot im Gesicht griff er an. Ich wich unwillkürlich zurück.
    Er grinste. »Feigling.«
    »Ich bin kein Feigling«, rief ich laut. Mir wurde ganz heiß.
    »Dein Vater hält dich aber für einen.« Er wählte seine Worte mit Bedacht und schien sie zu genießen. »Ich habe gehört, wie er sich vor meinem Vater über dich beklagt hat.«
    »Hat er nicht«, entgegnete ich, obwohl ich wusste, dass es doch so war.
    Der Junge hob die Faust. »Nennst du mich einen Lügner?« Ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass er zuschlagen würde. Er wartete nur noch auf einen Vorwand. Ich konnte mir vorstellen, wie mein Vater dieses Wort ausgesprochen hatte. Feigling . Ich stemmte dem Jungen beide Hände gegen die Brust und stieß ihn so fest, wie ich nur konnte, von mir. Unser Land bestand aus Wiesen und Getreidefeldern. Hinzufallen tat nicht weh.
    Nun, um ehrlich zu sein, gab es auch jede Menge Steine.
    Er schlug heftig mit dem Kopf auf, und ich sah, wie er vor Schreck die Augen aufriss. Um seinen Kopf herum breitete sich eine Blutlache aus.
    Vor lauter Entsetzen über das, was ich getan hatte, schnürte sich mir die Kehle zu. Ich hatte nie zuvor einen Menschen sterben sehen. Bullen, ja, und Ziegen, nicht zuletzt auch Fische in ihrem zappelnden Todeskampf. Auch auf Gemälden hatte ich es gesehen, auf Wandteppichen und unserem Geschirr, in das solche Szenen von Mord und Totschlag unter schwarzen Gestalten eingebrannt war. Aber das war mir noch nie zu Gesicht oder zu Ohren gekommen: dieses Gliederzucken und Röcheln. Und dann dieser Gestank des blutigen Ausflusses! Ich ergriff die Flucht.
    Irgendwann später fanden sie mich vor den knorrigen Wurzeln eines Olivenbaums. Ich lag, schlaff und bleich, in meinem eigenen Erbrochenen. Die Würfel waren verschwunden, verloren auf der Flucht. Mein Vater musterte mich mit wütendem Blick. Die grimmige Miene ließ seine gelb gewordenen Zähne zum Vorschein kommen. Auf sein Zeichen hin trugen mich die Diener nach Hause.
    Die Familie des Jungen verlangte meinen Tod oder meine Verbannung. Sie war mächtig und der Verstorbene ihr ältester Sohn. Ein Prinz mochte unbehelligt ihre Felder niederbrennen oder eine ihrer Töchter missbrauchen, solange Schadensersatz geleistet wurde. Doch die Söhne eines Mannes galten als unantastbar. Für sie würde ein Edelmann Krieg führen. Wir alle kannten die Regeln und hielten daran fest, um das Schlimmste zu vermeiden, das uns ständig bedrohte. Blutfehde . Die Diener machten das Zeichen zur Abwehr des Bösen.
    Mein Vater hatte sich zeit seines Lebens für den Erhalt seines Königreichs eingesetzt, und das wollte er nun nicht wegen eines solchen Sohns wie mich verlieren, zumal es ihm ein Leichtes sein würde, mit irgendeiner Sklavin andere Erben zu zeugen. Also willigte er ein: Ich sollte ins Exil geschickt und am Hof eines anderen Königs für den Preis von Gold, aufgewogen mit meinem Gewicht, zum Mann erzogen werden. Ich würde keine Eltern haben, keinen Familiennamen, kein Erbe. In unseren Tagen wäre es besser zu sterben. Aber mein Vater dachte praktisch. Mein Gewicht an Gold kostete ihn weniger als eine aufwändige Bestattung, die in meinem Fall nötig gewesen wäre.
    So wurde ich im Alter von zehn Jahren zum Waisenkind. So kam ich nach

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