Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)
das sind sie. Und sie haben Luitgard eine Nacht beherbergt, die zweite kam sie nicht zurück. Die Nonnen wussten nicht, wohin sie gehen wollte, doch die Mägde, die ihnen aufwarten, sind neugierig. Eine von ihnen hat Luitgard am zweiten Tag gefragt, wo sie einen ›Goldenen Anker‹ finden könnte.«
Gislindis nickte.
»Eine Schenke bei Lyskirchen.«
»Ich dachte mir so etwas. Gislindis, wäret Ihr bereit, mich dorthin zu begleiten?«
»Nicht alleine, wohledle Frau. Aber wenn Mats mitkommen will, können wir sie aufsuchen. Es ist eine einigermaßen ehrbare Gaststube, doch zwei Frauen alleine …«
»Ja, Ihr habt recht. Dann gebt mir Bescheid, ob und wann Euer Vater …«
»Er kommt eben.«
Ein Rumpeln im Hof zeugte davon, dass der Karren mit dem Schleifstein abgestellt wurde, und die Hintertür öffnete sich. Gislindis ging ihrem Vater entgegen, und er lächelte sie an, offensichtlich erfreut, sie wieder im Haus vorzufinden. Seine Worte mochten andere nicht verstehen, der Wolfsrachen machte seine Aussprache beinahe unmöglich, aber sie war von Kindheit an daran gewöhnt und verstand ihn.
»Ja, es geht mir gut, Mats. So gut, dass wir mit der wohledlen Frau Catrin in eine Schenke gehen wollen.«
Er drückte sein Erstaunen aus, und sie erklärte ihm leise, warum dieser Besuch notwendig war. Verständnisvoll nickte er und verbeugte sich in Richtung der Besucherin.
»Der Eintopf im ›Anker‹ ist gut und nahrhaft, sagt Mats. Und das Bier recht leicht und süffig«, meinte Gislindis, deckte den Brotteig in der Schüssel mit feuchtem Stoff ab und band sich ein buntes Tuch um die Haare.
Es war um die Mittagszeit, und allenthalben machten sich die Handwerker und Arbeiter für eine wohlverdiente Pause bereit. Das Wetter war mild und sonnig, der Duft der Garküchen, an denen sich die Schlangen Hungriger anstellten, zog durch die Gassen. Möwen flogen kreischend am Ufer entlang, immer bereit, jeden herrenlosen Krümel aufzuschnappen, Wäscherinnen saßen an einem Steg zusammen, die Laken und Hemden ausgebreitet über den Steinen, und bedienten sich aus einem Korb voller Wecken und Würste.
Der »Goldene Anker«, ein ansehnliches Gebäude, das unterste Stockwerk aus Stein gebaut, darüber drei aus Fachwerk mit einem spitzen Giebel, war gut besucht, doch noch fanden die drei eine Bank an der Wand, neben einem Fenster, das die warme Sonne einließ.
Eine Schankmaid schleppte schwere Tonkrüge zu den Tischen und kam dann zu ihnen, um Mats nach seinem Begehr zu fragen. Gislindis ließ ihn seine Wünsche äußern, und als sie den verständnislosen Blick der Frau bemerkte, übersetzte sie ohne Hast.
»Er kann sich nicht recht ausdrücken, aber er möchte ein Bier, und wir hätten gerne jeder eine Schüssel aus dem Kessel und etwas Brot.«
»Und einen Krug Apfelwein«, fügte die wohledle Frau hinzu.
»Bringe ich Euch.«
Als die Schankmaid ihren Bestellungen nachging, sah sich Gislindis aufmerksam um. Ein paar Gesichter kamen ihr bekannt vor. Fischer ließen oft ihre Messer von Mats schleifen, Gerber brachten ihre Werkzeuge zu ihm, mehr aber waren es manche Frauen, die weniger ihre Scherchen schleifen ließen als ihre, Gislindis’, Weisungen begehrten. Eine dieser Frauen saß neben einem Fährmann, mit dem sie eben ein gebratenes Hühnchen teilte.
»Eine Schlupfhure, wohledle Frau, die ihr Gewerbe einigermaßen anständig betreibt. Lisbet, ihr Gatte ist ein Bandkrämer, der wochenlang über die Lande zieht. Sie hält sich das Bett mit ein paar Schiffern warm und verdient sich ihr Zubrot damit. Sie hat kluge Augen.«
»Woher kennt Ihr sie, Gislindis?«
»Von Zeit zu Zeit betrachte ich ihre Hände. Sie hält sich an meinen Rat.«
»Weil Ihr wisst, wann der Bandkrämer wieder nach Hause kommt?«
Gislindis gab ein kleines Glucksen von sich.
»Wollen wir sie nach Luitgard befragen?«
»Wenn sie ihr Hühnchen verzehrt hat.«
Sie erhielten ihre Schüsseln mit dem kräftig gewürzten Eintopf aus Erbsen, Speck und Möhren, und über dem zweiten Löffel voll bemerkte Gislindis, dass Lisbet sie ansah. Sie nickte ihr grüßend zu, und als die junge Schlupfhure sich wie nebenbei in die Handinnenfläche schaute, nickte sie noch einmal.
»Sie will von mir aus der Hand gelesen haben«, sagte sie leise zu der wohledlen Frau, die ein wenig unruhig ihr Brot zerkrümelte. »Ihr fühlt Euch nicht wohl hier?«
»Ich weiß nicht recht. In solchen Häusern war ich noch nie.«
»Umso mutiger von Euch, Eure Nachforschungen hier
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