Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)
Notarius bewohnte. Es erkannte ihn jedoch und brummte, Magister Jakob sei in seiner Schreibstube anzutreffen.
Dort hing der Notarius auch wie ein magerer Kranich über einem Pergament, dessen geschriebene Zeilen er mit dem Finger verfolgte und tonlos den lateinischen Text vor sich hin murmelte. Das rotbraune Kätzchen saß auf seiner Schulter und leckte an seinem Ohr.
»Magister Jakob?«
»Lasst mich diesen Text zu Ende lesen, nehmt Euch einen Becher Wein und mir diese Katze vom Leib«, kam es im selben Tonfall wie die folgende Litanei über quaestiones, accusationes, condemnationes und poenarii .
John widmete sich also der Katze, die ihn beäugte, dann zwinkerte und sich tatsächlich von der notariellen Schulter heben ließ. Sie schmiegte sich an ihn und krallte sich schnurrend an seinem Wams fest. Mit einer Hand stützte John ihr Hinterteil, mit der freien schenkte er sich und dem Magister je einen Becher vermischten Wein ein – er stammte aus einer Lieferung seiner Mistress und war daher von ausgezeichneter Qualität, leicht und fruchtig. Der Notarius grummelte etwas, rollte das Pergament zusammen und nahm den Becher.
»Kleine Klette, die. Werft sie zu Boden.«
»Sie stört mich nicht.« John nahm auf der Bank am Fenster Platz, der Magister nippte an seinem Wein und zog sich die Brille von der Nase.
»Habt Ihr Neuigkeiten über den Verbleib der Frau Alyss?«
»Nein, aber Neuigkeiten über einige Verbrechen. Ich berichte Euch später. Zuerst möchte ich Euch bitten, mir Auskunft zu geben. Marian gab Euch eine Anzahl Namen, die zu überprüfen uns wichtig schien. Habt Ihr schon etwas herausgefunden?«
Umständlich wühlte der Magister zwischen diversen Pergamentrollen auf seinem Pult herum.
»Dammich, gestern hatte ich doch … Dieses vermaledeite Weib … wieder rumgeräumt … muss meine Notizen … Ahhhh!«
Er rollte das Pergament auf, und John erhaschte einen Blick auf die akkurate, sehr kleine Schrift, mit der darauf einiges geschrieben worden war.
»Ich habe geprüft, welchen Standes die Männer sind, ihren Wohnort, ihre Beschäftigung und etwaige Verstöße gegen Recht und gute Sitten«, dozierte Magister Jakob. »Als da sind Richard van Coesfeld, Leenard Cluntz, Hinerk Jude, Jakob Hardevust, Edgar von Isenburg, Gottschalk Overstoltz. Ja, ja, der Overstoltz …«
Sinnend strich er das Pergament glatt.
»Ein enger Verwandter des falschen Schöffen?«
»Nein, nein, ein entfernter, wohnhaft Unter Sachsenhausen, Sohn eines Gewandschneiders, verprasst das Geld seines Vaters. Harmloser Narr.«
»Die anderen?«
»Richard van Coesfeld und Leenard Cluntz, wohnhaft in Iddelsfeld, Mutter des einen Kupferhändlerin, Vater des anderen Brauer, einmal wegen Wilderns angeklagt, mangels Beweisen laufen gelassen. Hat jemand den Amtmann geschmiert. Hinerk Jude, Patrizierbengel, gerade neunzehn Jahre alt, ist eben mit der Ida von der Aducht vermählt worden. Wird ihn vielleicht ein paar Monate von den Raufereien abhalten. Jakob Hardevust nicht, der rauft weiter, und des Herrn Vaters Geld kauft ihn aus jeder Klage frei. Edgar von Isenburg.« John hob den Kopf, und das Kätzchen sprang auf den Boden. Der Magister beugte sich nieder, um das Tierchen zu streicheln, das sich um seine Beine wickelte.
»Edgar von Isenburg«, sagte John.
»Oh ja, ein feiner Kerl. Lebt drüben auf seinem Rittergut. Hat angeblich im vergangenen Jahr im März unten an der Oberländerwerft eine Dirne erwürgt. Die Hurenwirtin hat ihn angeklagt. Ihr wurde kein Glauben geschenkt, weil sie selbst schon ein paar Mal verwarnt worden war. Edgar hatte einen Zeugen, der ausgesagt hat, er habe sich zum Zeitpunkt des Todes der Dirne mit ihm in einer Schenke am Heumarkt aufgehalten.«
»Wer war der Zeuge?«
Die Augen des Notarius schimmerten hinter seinen Brillengläsern dunkel.
»Merten de Lipa, Master John.«
John neigte seinen Kopf.
Es war das Gefühl der Sicherheit, das ihn durchdrang.
Edgar von Isenburg.
Eine heiße Spur.
»Eine nützliche Nachricht?«
»Äußerst.«
»Dann freue ich mich, dass ich hilfreich sein konnte, Master John.«
»Eure Freude wird verfliegen, wenn Ihr erfahrt, was Merten de Lipa getan hat.«
»Ich bin befugt, auch schlechte Nachrichten zu vernehmen.«
»Seid da nicht so sicher, Magister.«
Und als John fertig war mit seinem Bericht, saß der Notarius mit gesenktem Kopf an seinem Schreibpult.
»Ihr hattet recht, Master John. Eine solche Botschaft ist kaum ein Mensch befugt zu vernehmen. Arme Frau Alyss.
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