Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)
bei ihrer Suche nach Alyss gemacht hatten.
Und – er hatte sich auch um ihre Verletzungen gekümmert, und seine geübten, heilenden Hände hatten die Schmerzen gelindert. Mehr aber noch hatten seine Küsse das getan.
Gislindis walkte den Brotteig und träumte von Marian. Als sie ihm das erste Mal begegnet war, hatte sie den dunklen Schleier bemerkt, der über seinem Gemüt lag. Er war ihr als ein so schöner, verständiger und höflicher Mann erschienen, dem aller Lebensmut geraubt worden war. Obwohl er gewandt mit Worten zu schmeicheln wusste, hatte sie gespürt, dass ein Verlust sein Herz gebrochen hatte.
Leise lächelte sie vor sich hin. Sie hatte ihn verlocken und verführen wollen, den reichen jungen Herrn, vielleicht, um seine Düsternis zu erhellen. Doch dann hatte er ihren Rat gesucht, und sie konnte ihm keinen geben. Darum erfüllte sie auch nicht den Wunsch, den sie in ihm geweckt hatte, wenn sie dies auch selbst bedauerte. Dennoch war er wiedergekommen, und er hatte ihr ein Geschenk gemacht, das weder mit Gold noch mit Küssen zu bezahlen war – er hatte sie das Lesen und Schreiben gelehrt. Je häufiger sie mit ihm zusammenkam, desto mehr wuchs ihre Liebe zu ihm. Und umso mehr hatte sie versucht, sie zu leugnen.
Marian vom Spiegel war nicht von ihrem Stand.
Im vergangenen Herbst hatte er sich besonnen, hatte den Heilerberuf aufgegeben und endlich den Wunsch seines Vaters erfüllt. Er hatte sein Erbe angetreten, sein Erbe als Führer eines der größten Handelshäuser der Stadt. Vor seiner Abreise nach Süden hatte sie ihr eigenes Herz beinahe selbst zerrissen, hatte versucht, ihn zu vergessen, war ihm kühl und abweisend begegnet.
Aber es war so schwer, denn auch seine Schwester Alyss war ihr eine so gute Freundin geworden.
Und dann hatte der Herr vom Spiegel – ein Mann von unergründlicher Macht und Weisheit, ein Mann von eindrucksvoller Würde und einem unbeschreiblichen Humor – sie aufgesucht und mit seiner tiefen, grollenden Stimme bemerkt, sie solle seinen Sohn endlich dazu bringen, ihr die Ehe anzutragen.
Vollends sprachlos hatte er sie stehen lassen.
Er hatte es ernst gemeint, daran bestand kein Zweifel. Aber – wie sollte das gehen? Sie war nicht ebenbürtig, wenn auch nicht von unehrlichem Stand. Doch ihr Vater war ein einfacher Handwerker, der wegen seines Wolfsrachens kaum des Sprechens fähig war. Sie tanzte und sang auf den Märkten, um die Kunden anzulocken. Sicher, sie tändelte nur, und keiner der Männer hatte ihr je mehr als einen Kuss geraubt.
Hatten sie eine Zukunft?
Marian schien es zu glauben. Er hatte von Venedig gesprochen, von Neapel, von Orangenbäumen, unter denen er mit ihr über das Meer schauen wollte, hatte ihr die bunten Märkte geschildert und die schwer beladenen Schiffe aus dem Morgenland. Hatte ihr Bilder von Zypressen und Granatapfelbäumen gemalt und die Düfte von Mimosen und Orangen heraufbeschworen.
Ihre Mutter war eine Fahrende gewesen, und sie selbst wünschte sich manchmal, auf Reisen in ferne Länder zu gehen.
Jetzt ruhten ihre Hände müßig auf dem bemehlten Teig, und erst das Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Träumen.
Frau Catrin, etwas zerzaust, stand vor der Tür.
»Tretet ein und verzeiht meine mehligen Hände, wohledle Frau.«
»Verzeiht Ihr mir mein Eindringen, Gislindis, aber ich brauche den Rat einer Frau.«
Gislindis wies auf die Bank am Tisch und wusch sich die Hände.
»Den Rat einer Frau oder den Rat einer Fragenden?«
Es war ein Lächeln um Frau Catrins Augen, als sie die kleine Silbermünze auf den Tisch legte.
»Ich hörte, dies ist der Lohn für guten Rat.«
»Das kommt drauf an. Wollt Ihr mir Eure Hand reichen?«
»Wenn Ihr meine Geschichte gehört habt.«
»Dann erzählt sie mir.«
»Marian, nehme ich an, hat Euch berichtet, was wir herausgefunden haben.«
Gislindis’ Frohsinn verdüsterte sich schlagartig.
»Verbrechen niedrigster Art sind entdeckt.«
»So ist es. Aber auch eine Spur zu jenem Edgar von Isenburg. Diese verfolgen Master John, Robert und Marian. Ich habe mich für die Fährte der Luitgard entschieden, die mit ihrer Schwägerin nach Köln kam, um sich Geld zu verschaffen, damit sie die Fibel bei dem Pfandleiher Ambrosio auslösen konnte. Ihrem Mann hat sie gesagt, sie wolle Alyss aufsuchen, doch dazu kam sie nicht. Ich habe bei den Benediktinerinnen nachgehört, was sie von dem Verbleib der beiden Frauen wussten.«
»Die Machabäerinnen sind fromme Weiber, arbeitsam und ruhig.«
»Ja,
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