Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)
anzustellen.«
»Wenn es irgendwie hilft, Alyss zu finden …«
»Oder Merten.«
»Ja, oder den.«
Sie aßen schweigend, dann erhob sich der Fährmann, und Gislindis verließ ihre Begleiter, um sich zu Lisbet zu setzen.
»Er hat eine Buhle drüben in Deutz, häng dich nicht zu sehr an ihn«, sagte sie und lächelte. »Diesen Rat erhältst du umsonst.«
»Ich grüße dich, Gislindis. Und, nein, ich hänge mich nicht an ihn. Aber ein kräftiges Mannsbild ist er schon, und den Fährgroschen entrichtet er auch pünktlich.«
»Gib dein Pfötchen, gib mir Silber, dann bekommst du Antwort auf allerlei Fragen.«
Das Pfötchen mit dem Silberling wurde Gislindis gereicht, und in den harten Schwielen, die von einem tätigen Leben sprachen, fand sie nichts von Bekümmernissen. In dem sommersprossigen Gesicht aber lag ein Hauch von Schwermut, und es wollte Gislindis scheinen, dass sich unter dem Gewand aus blauem Leinen der Leib ein wenig mehr wölbte als früher.
»Weiß der Vater, wer das Kind gezeugt hat?«
»Weißt du es nicht?«, flüsterte Lisbet.
»Du kannst die Monde zählen.«
»Drei.«
»Nicht dein erstes, die Engelmacherin sah dich schon zuvor.« Und dann wusste Gislindis, warum die Schwermut in den Augen der Schwangeren lag, und strich ihr sanft über die Hand. »Du willst es behalten. Dann folge der Natur.«
»Wird Hannes …«
»Will er keinen Erben?«
Die Schwermut wandelte sich in plötzliche Freude.
»Doch.«
»Gut, und nun, Lisbet habe ich eine Frage.«
»Aber du weißt doch alles.«
»Verborgenes entdeck ich, Verschwiegenes erhör ich, Verheimlichtes offenbart sich, doch Offensichtliches muss auch ich erfragen. Am Montag vor Ostern, Lisbet, kam eine junge Frau hier in den ›Goldenen Anker‹. Sie trug einen grünen Surcot, eine bestickte Haube und eine dunkelbraune Jacke. Sie kam alleine und traf sich mit einem Mann. Kannst du dich an eine solche Frau erinnern?«
Lisbet faltete die Hände und schloss die Augen.
»Vor Ostern kamen viele nach Köln … grünes Gewand, hier im ›Anker‹ … Ja, da war ein Weib. Nicht ganz jung mehr, aber adrett. Schlug die Augen nieder, als einer der Schiffer sie ansprach, drückte sich in die Ecke da hinten. Dann kam ein Mann, und sie lächelte ihn an. Richtig strahlend. Einer der Gecken, weißt du, mit einem engen Wams und spitzen Schuhen. Lockige Haare, glattes Gesicht, als sei er eben beim Barbier gewesen. Sie unterhielten sich, er bestellte Wein. Ich – ich unterhielt mich auch. Mit einem Brauer. Ich sah nicht alles, nur dass sie sich später an ihn schmiegte. Dann standen sie auf, und er hatte den Arm fest um ihre Mitte gelegt. Irgendwie war sie wohl schon trunken.«
»Am folgenden Morgen war sie er trunken.«
»Gislindis?«
»Der Mann hat schon häufiger Frauen ein betäubendes Mittel in den Wein getan, um sie willig und anschmiegsam zu machen. Hüte dich vor ihm. Und – hast du ihn seither noch einmal gesehen?«
»Nein, das habe ich nicht, aber nach Ostern war ich einige Tage nicht hier. Der Hannes kam an Karfreitag zurück.«
»Und er wird am Walpurgistag auch wieder heimkommen, Lisbet. Nutz die Nacht.« Gislindis schob die Silbermünze zurück zu Lisbet und stand auf. »Ich danke für deine Auskunft.«
Die wohledle Frau erwartete sie mit einem Schimmer von Neugier in den Augen.
»Gehen wir. Und zwar am besten zu Euch nach Hause. Ich habe Neuigkeiten.«
»Schlimme?«
»Ja, schlimme.«
28. Kapitel
Z wei Wochen hatte sie nun schon in dieser Kemenate verbracht, und ihre Ungeduld wurde mit jedem Tag unerträglicher. Vor Wut hatte sie ihre Flechtarbeit zerrissen, und am liebsten hätte sie auch den tönernen Weinkrug an die Wand geschmettert. Noch lieber aber hätte sie die schleimige Duretta aus dem Fenster gestoßen.
Immerhin hatte Alyss inzwischen herausgefunden, dass sie sich auf einem Rittersitz befand, der einem Edgar von Isenburg gehörte, Durettas Bruder. Der Name kam ihr bekannt vor, doch sie wusste nicht recht, woher. Aber der Verdacht lag nahe, dass er einer der Kumpanen war, mit denen sich Merten herumtrieb. Denn Merten war es gewesen, der diese absurde Geschichte mit den Enkeln verbreitet haben musste. Was versprach der von Isenburg sich davon? Dass sie ihn ehelichte? Oder war auch er nur wieder der Handlanger eines anderen?
Warum diese Gefangenschaft in der Kemenate? Inzwischen hasste Alyss jeden einzelnen Stein in der Wand, jeden Faden in den Gobelins und jede Falte in dem üppigen Lager.
Man wollte sie gefügig machen,
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