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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Notfälle hatte ich ihn ja immer gut versteckt und ihn nie angetastet.
    Der Aufseher hieß Zêzé, und inzwischen wusste ich auch, dass er zwei Laster hatte, die ihn angreifbar machten: Er war starker Trinker, und er liebte Männer. Mit einem hübschen Knaben würde ich ihm nicht aushelfen können, aber eine Flasche Schnaps ließ sich sicher organisieren. Ich nahm einen der kleineren Anhänger und bat Zêzé, ins Dorf gehen und Einkäufe erledigen zu dürfen.
    »Was willst du denn kaufen? Hier haben wir alles, was wir brauchen«, fuhr er mich unerwartet scharf an. »Und hat der Schinder dir etwa Geld dagelassen? Würde mich sehr wundern.«
    »Oh, Sinhô Zêzé«, sagte ich betont unterwürfig, »nicht werden böse. Alte Kasinda brauchen Tabak für Pfeife. Soll kaufen auch für Sinhô?« Ich wusste, dass er es mochte, wenn man ihn mit »Senhor« beziehungsweise »Sinhô« ansprach. Es verlieh ihm einen Rang, den er nicht innehatte.
    »Und wovon willst du den Tabak bezahlen?«
    »Ah, Sinhô schlau!«, rief ich aus, als bewunderte ich seine detektivischen Fähigkeiten. Dann zwinkerte ich ihm verschwörerisch zu. »Alte Kasinda kriegen noch Geld von Sopa.«
    Zêzé überlegte eine Weile, dann nickte er langsam mit dem Kopf. »Von mir aus. Aber komm vor Sonnenuntergang zurück.«
    Ich knickste und bedankte mich so überschwenglich bei ihm, als habe er mir gerade die Freiheit geschenkt und nicht einen anstrengenden Marsch in das elende Dörfchen erlaubt, der ihm mehr nutzen würde als mir.
    Es regnete, als ich das Dorf erreichte. In dem grauen Licht wirkte es noch armseliger als bei Sonnenschein. Die Wege waren aufgeweicht, Schlamm klebte an den Schuhen und Kleidern der wenigen Leute, die sich nach draußen wagten, und die Fensterläden waren gegen den hereinsprühenden Regen verschlossen. Selten hatte mich der Anblick einer Ortschaft mit solcher Traurigkeit erfüllt. Dennoch kämpfte ich mich unverdrossen weiter durch den weichen Lehm, bis ich bei Sopas Wirtschaft ankam.
    Er begrüßte mich mit mürrischer Miene und den Worten: »Kasinda, wisch dir die Füße ab!« Aber ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er sich über den unerwarteten Besuch aufrichtig freute.
    »Sim, Sinhô Sopa, Kasinda sauber Negerfrau«, sagte ich, denn ich wusste, dass diejenigen, die sich für unsere Herren hielten, genau solche Worte von uns erwarteten. Demut, Reinlichkeit und Dummheit – das waren die Attribute, die sie bei Sklaven am meisten schätzten, und da machte auch der anständige Sopa keine Ausnahme. Mein Portugiesisch war längst viel besser als jenes, das ich für solche Zwecke gebrauchte. Aber zum einen war mir die primitive Sprache meistens nützlich, denn so wurde man gerne unterschätzt. Zum anderen lag mir im Grunde nicht viel daran, es korrekt zu sprechen. Es war die Sprache der Verbrecher. Meine eigene Muttersprache war noch immer die, in der ich dachte, fühlte und träumte.
    Nachdem wir eine Reihe von Nettigkeiten und belanglosen Nachrichten ausgetauscht hatten, kam ich auf den Anlass meines Besuchs zu sprechen. »Kasinda haben Goldschmuck. Wollen kaufen?«
    Sopa sah mich an und nickte. Wortlos reichte ich ihm einen kleinen Anhänger in Form einer Blüte.
    »Woher hast du das?«
    »Früher Kasinda sehr schön. Favoritin von Sinhô.«
    »Na schön, ich will dir das mal glauben.« Er biss in das Schmuckstück und betrachtete es von allen Seiten. »Ich kann dir höchstens ein paar Kupfertaler dafür geben«, entschied er schließlich.
    »Aber mehr wert! Ist Gold!«
    »Ja, ja, ja. Aber Gold ist hier nichts wert. Die Männer holen jeden Tag beutelweise Gold aus der Erde.«
    »Paar Kupfermünzen, ja? Und eine Flasche Cachaça, und Tabak.«
    »Also schön, von mir aus.«
    Mehr als das hatte ich gar nicht gewollt. Der Schnaps war für Zêzé, der Tabak diente als mein Alibi, denn ich machte mir nicht sehr viel daraus. Und das Geld würde reichen, um Zêzé noch ein paarmal zu bestechen. Die Lebensmittel für Muhongo und seine Leidensgenossen würde ich im Haus des Schinders stibitzen. Es würde niemandem auffallen, denn die Vorratskammer war prall gefüllt, und ich selbst aß wenig. Wenn ich jeden Tag eine Wurst und ein paar eingelegte Früchte nähme, wäre das auch nicht mehr, als die jüngeren Leute im Haus ohnehin verzehrten. Ich fand, es war mein gutes Recht.
    Zunächst ging mein Plan auf. Ich bezahlte Zêzé für das Privileg, meinen Mann mit ein paar Leckereien zu versorgen und dadurch, dass er mich in der Nähe

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