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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Phantasie wie an kaum einer anderen Sache. Wenn Lua jetzt daran dachte, wie sie alle Kasinda angestarrt und immer halb gehofft, halb gefürchtet hatten, dass sie ihre verstümmelte Hand einmal sehen würden, empfand sie Ekel vor sich selbst.
    Es begann zu regnen. Sie flüchtete sich unter das kleine Dach, das Zé aus Palmblättern für genau diesen Zweck angefertigt hatte, und sah den dicken Tropfen dabei zu, wie sie Löcher im Sand formten. Dieser Art von Beschäftigung konnte Lua mittlerweile stundenlang nachgehen. Was sollte sie schon viel anderes tun? Sie hatte so viel Muße, dass sie das Steigen des Wassers bei Flut beobachtete oder den Balztanz zweier Vögel gespannt verfolgte. Sie verlor sich in der Betrachtung der Wolken am Himmel oder schaute sich fasziniert ein Palmblatt an, das kurz davor war, herabzufallen, wobei sie Wetten mit sich abschloss, etwa: Es wird noch vor Sonnenuntergang abfallen, oder: Es dauert noch mindestens zwei Tage, wenn es so windstill bleibt.
    Als der Regen aufhörte und einen dicht gepunkteten, dunklen Sand zurückließ, tauchte Zé auf.
    »Dieses Dächlein ist keine Lösung«, sagte er. »Es wird jetzt zunehmend heißer und feuchter. Wenn die Mai-Regenfälle kommen, sollten wir uns besser dagegen wappnen.«
    »Du willst im Mai noch hier sein?«, entfuhr es Lua, wohl wissend, dass ihn ja nun die geringste Schuld an ihrem langen Aufenthalt hier traf. Er hatte oft genug darauf gedrängt, sie solle mit ihm nach Liberdade kommen.
    Er erwiderte nichts, sondern sah sie mit vor unterdrückter Wut funkelnden Augen an.
    »Schon gut. Es tut mir leid.«
    Sie hatten bisher immer Abstand von der Idee genommen, eine Hütte zu errichten, zum einen, weil sie sich nicht auf einen längeren Zeitraum hier einstellen wollten, zum anderen aber auch, um etwaigen ungebetenen Besuchern nicht zu verraten, dass sie hier hausten. Dabei hatte sich in der ganzen Zeit außer Kasinda und Eulália niemand hierher verirrt, was an sich schon irritierend war.
    »Ich habe mir Gedanken gemacht und mir etwas ausgedacht, das uns besser vor der Witterung schützt als dieses Blätterdach, uns zugleich aber nicht verrät. Ich werde mich sofort ans Werk machen.« Zé wirkte grüblerisch, so als sei er von der Tauglichkeit seiner Konstruktion nicht ganz überzeugt. »Ach, hätten wir nur Caca hier, dem wäre sicher noch etwas viel Besseres eingefallen!«
    Lua grunzte beleidigt und wandte sich von ihm ab. Dieses leidige Thema hatten sie nun schon allzu oft gehabt, und immer wieder war ein Streit daraus entstanden. Zé versuchte, sie zu überzeugen, dass dies hier kein Zustand sei, dass sie auf die Hilfe anderer angewiesen seien und auf Dauer nur in einer Gruppe überleben konnten, in der alle ihre Fähigkeiten zum Wohle der Allgemeinheit einbrachten. Lua dagegen war der Ansicht, dass die Gruppe, die er dabei im Sinn hatte, ihr mehr schadete als dass sie ihr Vorteile brachte. Sie würde auf keinen Fall nach Liberdade zurückgehen.
    Sie machte sich daran, das Essen zuzubereiten. Seit Zé bei ihr war, gab es nicht nur eine vergleichsweise abwechslungsreiche Kost – denn er brachte ja von seinen »Ausflügen« immer schöne Leckereien mit –, sondern auch gegartes Essen. Zé hatte von den Indios gelernt, wie man ein Feuer machte, das nicht qualmte. Dank dieser Fertigkeit sowie dank eines zerbeulten Topfes, den Zé ebenfalls gestohlen hatte, konnten sie nun einigermaßen normales Essen zu sich nehmen. Es war eine große Verbesserung ihrer elenden Verhältnisse gewesen, und als Lua den ersten heißen Reis gegessen hatte, waren ihr Tränen der Dankbarkeit gekommen.
    Irgendwo hinter der Kochstelle machte Zé sich anscheinend daran, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Lua hörte ihn Äste zerbrechen, große Blätter zerreißen und vor allem fluchen. Sie lächelte in sich hinein. Nach einer Weile konnte sie nicht anders, als hinzusehen, was er dort trieb. Er kniete inmitten eines Bergs trockener Blätter und Gräser, die er auf einem Fischernetz ausgebreitet hatte, Letzteres sicher ebenfalls Teil einer Diebesbeute.
    »Was soll das werden?«, fragte sie ihn.
    »Wage es nicht, zu lachen, sonst vergesse ich mich! Herrje, dieses verfluchte Ding ist so unhandlich!«
    »Warum hast du denn nichts gesagt? Ich kann doch mit anpacken.«
    »Weil du beschäftigt warst. Vom Kochen wollte ich dich keinesfalls ablenken.«
    Lua wusste, dass dies nur die halbe Wahrheit war. Er war in Wirklichkeit nur zu stolz gewesen, sie um Hilfe zu bitten – er,

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