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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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der ihr doch ständig predigte, dass man auf die Hilfe anderer angewiesen war.
    »Mit dem Essen dauert’s noch eine Weile. Es kann da allein vor sich hin köcheln. Also sag: Was soll ich tun?«
    »Pack mal dort an«, sagte er gleich und wies auf den Rand des Netzes, der ihr am nächsten war. »Und jetzt heben wir es gemeinsam an, ganz vorsichtig, damit die Tarnung nicht wieder herunterrieselt.«
    Sie versuchten es, aber die Blätter und Zweige fielen natürlich trotzdem herunter.
    »Wir müssen sie besser befestigen«, sagte Lua und zog sich einen wütenden Blick zu.
    »Ach was?«
    »Lass mich das machen. Ich habe geschicktere Finger als du, wenn es um so feine Arbeiten geht. Ich weiß schon, wie ich dieses ganze Laub an dem Netz festbekomme.«
    Er nickte bedächtig, als müsse er erst genau darüber nachdenken, ob er ihr diese wichtige Aufgabe auch anvertrauen konnte. Insgeheim war er aber froh, dass er diese Knibbelarbeit nicht selber machen musste.
    »Ich beginne unterdessen mit dem Bau des eigentlichen Unterstandes.«
    Und so arbeiteten sie einträchtig nebeneinander, ein angenehmes Schweigen zwischen ihnen, unterbrochen nur von dem einen oder anderen leisen Fluch.
    Während des Essens erklärte Zé, was er sich vorstellte. Er wollte eine einfache Hütte bauen, ähnlich denen, die sie auch in Liberdade hatten, damit sie beide sowie ihre Habseligkeiten vor dem Regen besser geschützt waren. Damit diese Hütte nun nicht auf Anhieb entdeckt werden konnte, wollte er eine Art Tarnnetz darüberwerfen, sobald sich jemand näherte. Das Netz sollte an ein paar feinen Seilen so an einem Baum befestigt werden, dass man nur einmal an einer Schnur zu ziehen brauchte und es sich augenblicklich entfaltete und über die Hütte legte.
    »Ich muss die ganze Zeit an den Fischer denken, dem du das Netz gestohlen hast«, sagte Lua.
    »Ach, der ist doch auch nur der Sklave irgendeines Herrn, der ihm sicher gleich ein neues kauft.«
    »Das meine ich nicht. Ich meine: Wo gibt es denn Fischer? Warum sieht man an diesem Strand nie mal einen? Langsam finde ich diese Einsamkeit ein bisschen gespenstisch. Liegt irgendein Fluch auf diesem Strand?«
    Zé murmelte eine afrikanische Formel, zog eine böse Grimasse und rollte mit den Augen, bevor er in lautes Gelächter ausbrach.
    »So komisch ist das nun auch wieder nicht.«
    »Doch, ist es, Lua. Also, ich erkläre es dir. Durch das vorgelagerte Riff ist es von hier aus sehr schwer, gefahrlos ins tiefere Wasser zu gelangen. Die Brandung da draußen ist stark, und die Strömung ebenfalls, so dass die Fischer auch nicht von woanders kommen und an diesem Abschnitt des Strandes fischen. Die meisten von ihnen können nicht schwimmen. Wenn ihre kleinen Boote von einer großen Welle erfasst würden, wäre es schlecht um sie bestellt.«
    »Ja, aber …«
    »Aber es gibt vereinzelte Buchten, die sicherer sind – ganz abgesehen von der Allerheiligenbucht natürlich, doch die ist ja wirklich noch sehr weit weg. Diese kleinen Buchten, in denen die Fischer ihre Boote vertäuen und von wo sie ausfahren, liegen allerdings weit genug von hier entfernt, als dass sie für uns eine Gefahr darstellen würden. Kein Mensch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte kommt hier heraus. An ausgedehnten Abschnitten der Küste sieht es genauso aus wie hier, und es gibt dort nichts, was für die Menschen von Interesse wäre. Nur Sand, ein paar Krebse und Schildkröten und endlose Reihen von Kokospalmen.«
    »Ich finde es trotzdem beunruhigend, dass man nie jemanden sieht. Wir befinden uns schließlich auf dem Grund und Boden des Senhor Afonso, oder nicht? Und auch auf Três Marias wird mit dem Fleisch von Kokosnüssen gekocht, und aus den Fasern der Palmen gewinnen sie Seile.«
    »Warum sollten sie hier ernten? Es gibt mehr als genügend Palmen, die in größerer Nähe zu den Wirtschaftsgebäuden der Fazenda wachsen.«
    »Hm.« Lua war nicht restlos überzeugt, aber weiteres Beharren auf dieser Frage würde nichts ändern. Es war ja außerdem nicht so, als wäre es Zés Schuld gewesen.
    Nach dem Essen machten sie sich wieder ans Werk. Es dauerte sehr lange und erforderte viel Geduld, jedes Blatt und jedes Ästlein mit Capim-Gras an das Netz zu knüpfen. Es würde sicher noch ein bis zwei Tage brauchen, bis das Netz dicht genug bedeckt war, um einen vernünftigen Sichtschutz abzugeben. Aber so lange würde auch der Bau einer Hütte sicher benötigen, denn in Ermangelung brauchbaren Werkzeugs sowie weiterer Männer, die mit

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