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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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viele Frauen mochte es geben, die grüne Mandelaugen hatten und Nzinga hießen? Die schön und jung waren? Meine Tochter müsste jetzt Mitte zwanzig sein, rechnete ich nach.
    »Ja, der Name ist allerdings komisch. Also, dir als Afrikanerin sollte er ja bekannt vorkommen. In Wahrheit, so munkelt man, heißt sie Maria Dolores, aber das wäre ja nicht exotisch genug. Sie behauptet von sich, die Tochter eines großen Hottentotten-Häuptlings zu sein. Na ja, wer’s glaubt.«
    Ich wandte mich abrupt ab und gab vor, einen Wasserfleck vom Tisch polieren zu müssen. War Nzinga eine Hure geworden? War sie unglücklich? Hatte sie Kinder? Einen Mann? Ich hatte die Erinnerung an sie weggedrängt, aber plötzlich stürmten all die unterdrückten Gefühle mit doppelter Wucht auf mich ein.
    »Also, wenn du sie kennen solltest«, fuhr die Dirne fort, die meinen Stimmungsumschwung bemerkt hatte, »brauchst du dir keine Sorgen um sie zu machen. Sie hat mächtige Gönner und ist sehr wohlhabend. Sie ist frei, und sie hat sich ihren Beruf selber gewählt. Mit ein wenig Glück kann sie ihn noch ein paar Jahre ausüben und dann von ihrem Ersparten ein Luxusbordell eröffnen. Die hat ausgesorgt, glaub mir.«
    »Und Sinhô kann zahlen Nzinga?«, fragte ich, mit Mühe ein Zittern in der Stimme unterdrückend. Ich hätte würgen können bei der Vorstellung, dass der Schinder sich an meiner Tochter verging.
    »Glaube ich nicht. Er tut nur so, als ob er die ganz teuren Huren aufsuchen würde. Aber er geht dann wahrscheinlich doch lieber zu den mittelteuren. Er ist nämlich ein Geizkragen.«
    Sollte ich darüber nun erleichtert sein oder nicht? Welche anderen ekligen Kerle hatten mein Kind begrabscht, es gedemütigt und geschändet? Wie ertrug sie das nur? Und wie konnte sie freiwillig damit weitermachen, wenn es stimmte und sie frei und reich war? Die Geschichte schien mir nicht ganz glaubhaft, aber ich stellte keine weiteren Fragen mehr. Ich würde später, wenn ich allein in meiner Hängematte lag, darüber nachdenken, wie ich Nzinga aus ihrer grässlichen Lage befreien konnte.
    Das tat ich dann doch nicht, jedenfalls nicht in aller Ausführlichkeit, denn die Bilder, die auf mich einstürmten, waren allzu schrecklich. Und was konnte ich schon tun? Meine Tochter war erwachsen und brauchte gewiss nicht das nutzlose Einschreiten ihrer Mutter. Ich lenkte meine Gedanken bewusst auf andere Wege, wie etwa die Neuigkeit, dass der Schinder mindestens zweimal im Jahr fort war. Mit ein wenig Glück würde ich mir diese Abwesenheit irgendwie zunutze machen können, um meinem armen Muhongo zu helfen.
    Er war nun schon vier Monate in der Mine, und in den vergangenen zwei Monaten hatte ich ihn genau einmal kurz gesehen, und das auch nur aus der Ferne. Dennoch erkannte ich, dass er zum Fürchten aussah: abgemagert, verhärmt, mit stumpfem Blick und plötzlich ergrautem Haar. Muhongo war nur wenig älter als ich, aber er sah aus wie ein gebrochener, alter Mann. Wenn mir nicht bald etwas zu seiner Rettung einfiel, würde er nicht mehr lange zu leben haben.
    Ich dachte an die Alten in Afrika, die für ihre Weisheit und Lebenserfahrung verehrt wurden und denen man größten Respekt entgegenbrachte. Daheim wäre Muhongo jetzt gewiss ein Stammesältester, den man in allen wichtigen Fragen konsultierte, ob sie nun das Dorf und die Gemeinschaft betrafen oder aber auch private Angelegenheiten. Junge Paare würden sich mit Eheproblemen an ihn wenden, zerstrittene Nachbarn sein gerechtes Urteil erbitten, Heranwachsende vor ihrer ersten großen Wanderschaft, einer Art Reifeprüfung, seinen Rat einholen. Und hier? Hier behandelte man ihn wie einen alten, räudigen Hund. Es tat mir in der Seele weh.
    Eines Tages, ich war seit fast einem halben Jahr bei dem Schinder, trat er dann endlich seine Reise in die Hauptstadt an. Er verschärfte die Bewachung der Minen und setzte einen weiteren Aufseher in seinem Haus ein, damit wir nicht alle die Flucht ergriffen. Dennoch war ich frohen Mutes: Einer der Männer, denen er uneingeschränktes Vertrauen entgegenbrachte, war ebenjener Aufseher, der mich anfangs Nahrungsmittel zu Muhongo hatte bringen lassen. Gewiss würde es mir auch diesmal gelingen, den Mann irgendwie auf meine Seite zu bekommen.
    Allerdings verfügte ich über kein Geld. Nicht ein einziger Centavo war mir geblieben, und im Haus des Schinders gab es weder Bezahlung noch Trinkgelder. Ich würde einen Teil meines Schmucks opfern müssen – aber genau für solche

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