Das Lied des Kolibris
könne gleichzeitig auch ihre Gefühle für Zé, die sie sich selbst nur widerwillig eingestand, verraten und sie dadurch irgendwie wahrer machen. Lua wollte diesen Kerl nicht lieben. Sie wollte keine Schwierigkeiten haben. Sie wollte ihr behagliches Leben auf São Fidélio nicht ändern, schon gar nicht für einen Mann, der für einen blödsinnigen Traum von Freiheit alles aufs Spiel setzte. Was wusste denn Zé schon von der Freiheit? Bestimmt nicht mehr als sie selbst. Mit anderen Worten: gar nichts.
Lua hatte bei dem Ausflug nach Três Marias, als das mit der Münze passiert war, mit ein paar Leuten von dort geplaudert, während die Sinhazinha im Herrenhaus beschäftigt war. Auf diese Weise hatte sie in Erfahrung gebracht, dass Zé hohes Ansehen unter den anderen Sklaven genoss, dass er schon seit vielen Jahren auf Três Marias gearbeitet hatte und dass er der Sohn zweier Sklaven war, die noch in Afrika geboren waren. Dieser Umstand mochte erklären, warum er sich als Häuptlingssohn betrachtete und warum er ein paar Brocken der Kimbundu-Sprache beherrschte. Aber eigentlich war er Brasilianer wie Lua. Er war Christ. Er sprach perfektes Portugiesisch. Er kannte Afrika nicht. Und er kannte die Freiheit nicht. Es war nichts weiter als eine fixe Idee.
In der Casa Grande von São Fidélio waren sie fieberhaft damit beschäftigt, alles für die Verlobungsfeier herzurichten und vorzubereiten. Es waren mehr als 150 Gäste geladen, einige davon kamen sogar aus Rio de Janeiro angereist, der zukünftigen Hauptstadt der Kolonie. Die Cidade de São Salvador, so hatte Lua es den Gesprächen ihrer Herrschaft entnommen, war zu weit entfernt von den ergiebigen Goldminen in Vila Rica und der umliegenden Region, die man »Minas Gerais« nannte, während Rio de Janeiro mitsamt seinem großen Naturhafen für den Transport des Goldes in das Mutterland Portugal geradezu prädestiniert war. Es war zugleich eine florierende Stadt, die zunehmend am Anbau von Kaffee verdiente, so dass São Salvador da Bahia an Bedeutung verlor. Im Grunde war es Lua egal, welche Stadt nun Hauptstadt war oder nicht, und sie glaubte, dass selbst die Oliveiras es nicht so wichtig nahmen. »Dann sind wir endlich auch die portugiesischen Bürokraten los, die die besten Ländereien für sich beziehungsweise für die Krone beanspruchen«, jubelte der junge Sinhô Manuel und begann gleich auszurechnen, mit welchen Grundstücksspekulationen man am meisten Profit machen könne.
Lua dachte bei sich, dass man ja wohl am meisten verdiente, wenn man Land in Rio de Janeiro besäße, sagte aber wohlweislich nichts. Sie war überhaupt sehr schweigsam in letzter Zeit, denn sie hatte Angst, dass man ihre vorlauten Bemerkungen nun nicht mehr mit derselben Großzügigkeit hinnehmen würde, wie es in der Vergangenheit geschehen war. Sie beobachtete Dona Ines argwöhnisch aus dem Augenwinkel und hoffte, sie dabei zu erwischen, wie sie dasselbe bei ihr tat, aber die Senhora ignorierte Lua vollständig, was diese noch mehr aus der Fassung brachte.
»Hier soll die Kapelle stehen, und direkt davor müsst ihr Platz für die Tänzer lassen«, instruierte Sinhá Eulália nun ihre Diener. »Und hier könnt ihr die Stühle aufstellen, am besten im Halbkreis.« Sie war in den großen Saal getreten, wo Fernanda, Lulu und Lua ziellos Stühle hin und her schoben. Es ärgerte Lua ein wenig, dass ihre Herrin mehr Überblick zu haben schien als sie, die sie recht gelangweilt und gedankenlos ihrer Beschäftigung nachgegangen waren, weil die große Hitze ihren Arbeitseifer lähmte. Obwohl sie die Regenfälle des Mais und Junis hinter sich hatten, war die Luft kein bisschen frischer geworden. Es war drückend und schwül und eben so heiß, dass man sich auf die allernotwendigsten Bewegungen beschränkte.
Lulu hatte Lua seit dem Tag, an dem er sie im Keller eingesperrt hatte, in Frieden gelassen. Doch er beäugte sie argwöhnisch und wirkte wie jemand, der einen gemeinen Plan ausheckt und nur noch auf den richtigen Zeitpunkt für dessen Ausführung wartet. Lulus Blicke hatten stets etwas Lauerndes. Wenn er darauf hoffte, Lua bei einer Unterlassung zu erwischen, würde er jedoch lange warten können. Sie kam ihren Pflichten vorbildlich nach und ließ sich nicht die kleinste Verfehlung zuschulden kommen.
»Hier«, sagte Sinhá Eulália an Lua gewandt, »hier sollt ihr stehen. Von hier aus habt ihr alles gut im Blick, und wenn ich merke, dass ihr nicht auf die Gäste achtet, sondern
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