Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
eine hohe Fontäne Blut aus der Wunde schoss und mich besudelte. Ich selber blieb ruhig, doch plötzlich zeigten alle mit dem Finger auf mich und schrien wütend auf mich ein: »Kasinda, du hast Schande und Unglück über die Deinen gebracht! Dich werden wir den Geistern der Toten zum Opfer bringen!«
    Und so geschah es. Man band mich an einen dicken Holzstamm, befestigte einen Korb daran, der mit Früchten, Honig und Palmwein gefüllt war, und ließ mich zu Wasser, um mich der Flussgöttin zu opfern. Wenn der Fluss mich mit sich riss, bedeutete das, dass die Göttin das Opfer angenommen hatte. Wenn nicht, wies sie die Opfergabe zurück, und die Dorfbewohner würden mich töten müssen. Da es so lange nicht geregnet hatte und der Fluss nur wenig Wasser führte, war ich mir sicher, dass der Baumstamm nicht weit treiben würde. Doch ich täuschte mich. Eine unsichtbare Strömung zog mich fort, und erst sehr weit flussabwärts wurde ich ans Ufer geschwemmt. Dank des Korbes mit Lebensmitteln, die für die Göttin bestimmt waren, gelang mir das Überleben in der unwirtlichen Gegend, in der ich gelandet war.
    An dieser Stelle endete der Traum immer. Nachdem ich ihn ein Dutzend Male gehabt hatte, ging mir seine eigentliche Botschaft auf: Es war mir bestimmt, zu überleben, egal wo, egal wie. Selbst als Sklavin in diesem fürchterlichen Land namens Brasilien würde ich mich irgendwie durchschlagen – wenn ich nur immer die Götter gnädig stimmte. So kam es, dass ich bald heimliche Ausflüge ans Meer unternahm, um den Wellen mein Opfer zu überantworten. Wählerisch konnte ich dabei nicht sein: Mal bündelte ich ein paar Zuckerrohre und warf sie in die Brandung, mal gelang es mir, ein Huhn zu stehlen und ihm die Kehle über dem Wasser aufzuschlitzen. Die Gelegenheiten dazu verschaffte mir der junge Senhor Sebastião. Er hatte mich zu seiner Favoritin erkoren, so dass meine Abwesenheit bei der Arbeit eher die Regel denn die Ausnahme bildete. Irgendwann geschah dann, was Samba sich für mich erhofft hatte: Ich wurde schwanger.
    Anders, als meine Beschützerin Samba behauptet hatte, ließ der weiße Mann nicht von mir ab. Er war ganz vernarrt in mich, und je abweisender ich mich gab, desto verrückter wurde er nach mir. Er überhäufte mich mit Geschenken, wertlosem Zierat zunächst, den ich meinen Opfergaben beifügte, und dann zunehmend wertvolleren Gegenständen: ein Seidenband hier, ein Silberkettchen dort, sogar einen kleinen Hund aus Porzellan schenkte er mir einmal. Ich wusste nicht, was er sich dabei dachte. Wo sollte ich dieses Stück denn hinstellen? Er hatte mir mit Händen und Füßen erklärt, dass es als Schmuck für die Behausung diente, dass man es auf einem Kaminsims drapieren konnte oder auf der Anrichte. Ich konnte mir unter beidem nichts vorstellen. In Cambundi hatte es weder Kaminsimse noch Anrichten gegeben, und in dem fremden Land war ich nie in den Häusern von Leuten gewesen, die so etwas hatten. Denn in der Casa Grande hatte ich nach wie vor keinen Zutritt. Sie erlaubten nur »gezähmten Negern«, ihr Allerheiligstes zu betreten, eine Wilde wie ich hätte ihrer Meinung nach nur Schaden angerichtet und Schmutz hereingebracht.
    Ich heuchelte Dankbarkeit, wenn der junge Sinhô Sebastião mir wieder ein nutzloses Geschenk gab, erregte aber sein Misstrauen – und seine Leidenschaft –, weil ich weder Schmuck noch Seidenbänder je trug. Seine Geschenke wurden kostbarer, seine Eifersucht immer größer. Er befahl mir, jederzeit eine Kette, an der ich Schmuckanhänger befestigen sollte, zu tragen.
    »Aber Sinhô Sebastião«, sagte ich, nach drei Monaten in dem schrecklichen Land schon ein paar Brocken Portugiesisch beherrschend, »wie sollen arbeit, wenn Kette in Weg.« Er missverstand mich und sorgte dafür, dass meine Fußfesseln abgenommen wurden – viel früher, als es bei meinen Mitgefangenen der Fall war.
    Als meine Schwangerschaft so weit fortgeschritten war, dass man bereits eine Wölbung des Bauches erkennen konnte, fiel der fette Schwächling vor mir auf die Knie und gestand mir seine Liebe. Er bekräftigte seine Aussage mit einem großen goldenen Anhänger in Form eines Herzens. Es war mir unsagbar peinlich, meinen »Besitzer« so vor mir winseln zu sehen, und noch viel peinlicher war es mir, dass ich sein Kind in meinem Leib trug. Daheim in Ngola hätte ich mir zu helfen gewusst. Ich wäre als Kräuterkundige durchaus in der Lage gewesen, die unerwünschte Leibesfrucht zu beseitigen. Hier

Weitere Kostenlose Bücher