Das Lied des Kolibris
aber kannte ich die Pflanzen des Waldes noch nicht, ich wusste nicht, welches Kraut oder welche Blüte giftig genug war.
Die anderen Sklavinnen beneideten mich. Sie missgönnten mir die Geschenke des Senhors, sie waren neidisch auf meine Schwangerschaft und die Privilegien, die damit einhergingen, und vor allem waren sie empört über die vermeintliche Tücke, mit der ich zu Werke ging. Sie glaubten, dass ich den jungen Herrn absichtlich so kühl behandelte, um seine Glut zu entfachen. Doch dem war nicht so. Ich war nur einfach nicht imstande, mich wie eine Sklavin zu gebärden und meine Vergangenheit so mir nichts, dir nichts zu vergessen. Ich war immerhin die Tochter eines Häuptlings, die Frau eines großen Kriegers und die Mutter eines künftigen Stammesoberhauptes! Denn dass der kleine Chilala alles besaß, was ihn zu einem stolzen, weisen und geachteten Mann reifen lassen würde, daran hatte für mich nie ein Zweifel bestanden. Er hatte alles – außer einer Mutter.
Und nun sollte ich in der verhassten Fremde erneut Mutter werden, Mutter eines Kindes, das ich nicht wollte und das ich bereits jetzt hasste, obwohl es doch nichts für die Umstände seiner Zeugung konnte. Ich malte mir ein schreckliches kleines Wesen aus, das die teigige Haut seines Vaters hätte und das sich mit derselben hündischen Liebe an mich klammerte. Ich verachtete es aus tiefstem Herzen und beschwor die Geister, es spätestens bei der Geburt sterben zu lassen. Doch nichts fruchtete: Das Kind wuchs und gedieh, mein Bauch wölbte sich immer mehr, und mir ging es, jedenfalls körperlich, blendend.
Auch die Geburt verlief ohne Komplikationen. Das Baby war kerngesund, ich selbst schon nach wenigen Stunden wieder auf den Beinen. Man hatte mir das kleine Wurm an die Brust gelegt, und obwohl ich mir geschworen hatte, es weder anzusehen noch zu berühren, durchströmte mich ein warmes, tiefes Gefühl der Mütterlichkeit. Die Natur hat uns Frauen so gemacht, man kann sich nicht dagegen auflehnen. Ich wiegte es in den Armen und bewunderte es von Kopf bis Fuß. Ich hatte ein wunderhübsches Mädchen zur Welt gebracht, mit hellbrauner Haut, dichtem schwarzem Haar und schrägstehenden Katzenaugen in einem grünlichen Braunton.
Ich wusste, dass sie mir das Herz brechen würde. Ich wusste, dass ich sie nicht hätte lieben dürfen, weil man sie mir fortnehmen, sie erniedrigen, versklaven und quälen würde wie mich selbst. Aber ich konnte nicht anders. Ich flüsterte ihr Liebkosungen in meiner Sprache ins Ohr und wiederholte immer und immer wieder den Namen, den ich ihr in Erinnerung an meine Mutter gab: Nzinga. Es war außerdem der Name einer großen Königin unseres Volkes.
Als Samba beziehungsweise Jojo, wie ihr Gefangenenname ja lautete, diesen Namen vernahm, gab sie mir eine schallende Ohrfeige. »Bist du des Wahnsinns?! Dieses Kind ist die Tochter des jungen Senhors. Sie ist Brasilianerin, und du wirst einen guten katholischen Namen für sie wählen. Ich schlage vor, du nennst sie Maria das Dores. Wir können sie ja dann Dodo rufen.«
Es war natürlich alles andere als ein Vorschlag – es war ein Befehl. Ich befolgte ihn. Ich fand Dodo fast noch scheußlicher als ihren vollständigen katholischen Namen, der »schmerzensreiche Maria« bedeutete, aber ich konnte mich gegen Jojo nicht durchsetzen. Sie nannte meine Tochter bei jeder sich bietenden Gelegenheit bei diesem albernen Spitznamen, bis ihn schließlich alle verwendeten. Ich selber raunte meinem Kind so oft wie möglich seinen wahren Namen ins Ohr, genau wie ich heimlich versuchte, es die Sprache unserer Ahnen zu lehren, die Sprache freier Menschen.
Die Geburt Nzingas erhöhte mein Ansehen nicht ganz in dem Maße, in dem Samba es prophezeit hatte, denn Sinhô Sebastião war enttäuscht, dass ich ihm keinen Jungen geboren hatte. Um diesen Makel auszugleichen, gab er sich redliche Mühe, mir ein weiteres Kind zu machen. Erneut ertrug ich seine ungeschickten Fummeleien, seinen abstoßenden Körper und seine widerlichen Gelüste – er trank sogar Milch aus meiner Brust! – ohne sichtbare Regung, was ihn nur umso mehr anzufeuern schien.
Die Geburt Nzingas hatte für mich immerhin einen entscheidenden Vorteil: Ich wurde als Amme in der Senzala eingesetzt. Andere Sklavinnen, die Säuglinge hatten, mussten wieder auf die Felder oder in die Wäscherei, in die
casa da farinha
oder in die Küche, an die Zuckerrohrpresse oder auf die Gemüseäcker gehen. Ihre Kinder blieben in meiner
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