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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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wenn man sich von Kopf bis Fuß mit Kot einreibt, oder wenn man ein längeres Stück durch Wasser geht, weil da die Hunde die Spur verlieren.«
    »Ich weiß selbst, wie es gemacht wird«, sagte Zé ungehalten. »Also noch mal zurück zu der Hexe: Wie hieß sie? Wie sah sie aus?«
    »Na, alt eben, klein und verschrumpelt, mit hinterlistigen Äuglein. Spricht miserables Portugiesisch. Sie sagte, sie heißt Carminda oder so ähnlich.«
    Zé war sprachlos. Wie hatte Kasinda alias Imaculada es geschafft, von São Fidélio zum Solar do Castelo zu gelangen? Zu Fuß war die Strecke zu weit. Hatte sie den Kutscher beschwatzt, sie bei einer Botenfahrt mitzunehmen? Hatte denn ihre Abwesenheit auf São Fidélio unbemerkt bleiben können? Andererseits: Die Alten kümmerten eigentlich niemanden mehr. Sowohl die jüngeren Sklaven als auch die Aufseher und erst recht die Senhores waren froh, wenn sie von dem Anblick der Alten und Siechen verschont blieben. Und da bei ihnen keine Fluchtgefahr bestand, hatten sie praktisch Narrenfreiheit. Aber Kasinda? Die sich schon dem Tode nah fühlte? Woher nahm sie die Kraft für solche Unternehmungen? Und woher hatte sie gewusst, wo sie die Nachricht von Zés Quilombo streuen sollte – immerhin bestand jederzeit die Gefahr, dass sie es dem Falschen erzählte. Verließ sie sich allein auf ihre Menschenkenntnis? Oder hatte sie vielleicht doch magische Kräfte?
    »Wwwas esst ihr hhhier sssonst sso?«, fragte Caca.
    »Er will wissen, wann es was zu essen gibt«, übersetzte Bebel.
    »Na, sobald er was erlegt hat. Ist ’ne Menge Arbeit, mit Pfeil und Bogen loszuziehen und genug zu schießen, um davon satt zu werden. Müsst ihr schnell lernen. An guten Tagen gibt’s Tatu oder Capivara, an schlechten nur irgendeinen zähen Papagei«, antwortete Luizinho.
    »Schmecken bitter«, ergänzte João. »Aber immer noch besser als Larven und Ameisen fressen, so wie’s die Eingeborenen tun. Zé hat’s gekostet, stimmt’s nicht, Zé?«
    Zé nickte abwesend. Er war in Gedanken ganz weit fort. Dass eine Sklavin von São Fidélio die Flucht gewagt hatte und geschnappt worden war, setzte ihm mehr zu, als er zuzugeben bereit war. Wenn es sich nun dabei um Lua gehandelt hatte? Seine süße, schlaue Lua? Würde man sie ebenso brutal auspeitschen, wie man es mit ihm getan hatte? Oh Gott, allein die Vorstellung ließ seine Narben auf dem Rücken heiß brennen, als seien sie noch offene Wunden. Würde man Lua verkaufen? Würde man sie demütigen, sie zur Feldarbeit verdonnern oder sie gar als »Zuchtstute« einsetzen, wie es auf manchen Fazendas mit den stärksten, gesündesten und schönsten Schwarzen getan wurde, damit sie ihrem Senhor weitere Sklaven mit guten Erbanlagen schenkten? Für Männer war, wie Zé aus eigener Anschauung wusste, diese Zwangspaarung schon unangenehm – für Frauen musste es die Hölle sein.
    »Was bist du denn auf einmal so still? Willst du Bebel nicht antworten?«, schubste Marilu ihn an.
    »Sicher, klar. Was willst du wissen?«
    »He, Zé, hattest wohl ein Liebchen auf São Fidélio? Machst dir jetzt Sorgen um sie, was?«, flachste Luizinho.
    »Der war sich doch schon auf Três Marias zu gut für alle. Der denkt bestimmt an die verrückte Alte. Ist sie verwandt mit dir? Hat sie dich Bombom getauft?« João konnte es nicht lassen. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit zog er Zé mit der Verballhornung seines afrikanischen Namens auf.
    »Wwwie, Bbbombom?«, hakte Caca nach.
    »Egal«, sagte Zé unwirsch.
    »Obwohl er wirklich süß ist«, flüsterte Bebel Marilu ins Ohr.
    »Das täuscht«, sagte diese. »Ist ein harter Knochen, der Kerl, stimmt’s nicht, Zé?«
    »Lasst mich doch in Frieden.«
    Und so ging es den ganzen Morgen hindurch weiter. Keiner hatte so rechte Lust, die Runde zu verlassen und seiner Arbeit nachzugehen. Viel zu groß war die Angst, irgendeine Neuigkeit zu verpassen, obwohl die Ausbeute an Nachrichten weiß Gott gering war.
    Die Frauen sonderten sich irgendwann von den Männern ab. Sie wollten in Ruhe über Dinge schwatzen, von denen diese eh nichts verstanden. Als seien sie alte Freundinnen, tauschten Marilu und Bebel Ratschläge und Klatsch aus. Die Themen reichten von den Problemen der Monatshygiene bis hin zu Rezeptideen für Beijupirá, einen Meeresfisch, von dem sie hier im Binnenland nur träumen konnten. Sie erzählten einander über die Vorzüge und die schlechten Seiten der Männer, vor allem der vier, in deren Gesellschaft sie sich hier befanden. Sie

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