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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Sprösslinge? Ach was, schüttelte sie den unangenehmen Gedanken ab, alle drei waren gesund, hübsch und wohlgeraten – besser jedenfalls als die meisten Kinder der Nachbarn. Es lag nur am Überschwang der Jugend, eines Tages würde sich das alles verwachsen.
    Sie schrak aus ihren Überlegungen hoch, als das Gespräch um sie herum verstummte. Alle sahen aus dem Fenster.
    »Wer mag das sein?«, fragte sie. Es kam nicht oft unangekündigter Besuch, und die Kutsche war ihnen allen unbekannt.
    »Nein!«, rief Eulália, die zuerst gesehen hatte, wer da in Handfesseln aus dem Wagen gestoßen wurde. »Lua!« Sie raffte ihre Röcke und rannte nach draußen. Die anderen Familienmitglieder folgten ihr gemessenen Schrittes.
    »Hab hier eine Fundsache für Euch, mit besten Grüßen von der Frau Oberin vom Benediktinerkloster«, sagte der Fahrer. »Sie hat mir auch einen Brief für Euch mitgegeben.« Er entnahm seiner Manteltasche einen Umschlag und reichte ihn Dom Felipe.
    Dieser drückte ihm eine Münze in die Hand und bedankte sich. »Geh rüber zum Stall. Da geben sie dir und deinem Gaul zu fressen und zu saufen. Danach komm her und hol meine Antwort ab.«
    Der schwarze Kutscher ließ sich das nicht zweimal sagen. Die ganze weiße Familie samt Weibern vor sich zu sehen war ihm nicht geheuer. Was machten die nur für ein Aufhebens um ein blödes Negermädchen?
    Lua stand mit gebeugtem Haupt vor den Oliveiras.
    »Dir ist klar, was dir jetzt blüht?«, sagte Dom Felipe.
    »
Sim, Sinhô
«, sagte sie zerknirscht. »Aber nicht dass Ihr was Falsches denkt, es war nämlich so, dass …«
    »Bist du wohl still!«, herrschte Dona Ines sie an. »Willst hier auch noch Lügenmärchen auftischen, was? Das kennen wir, glaub mir, von dir und deinesgleichen lassen wir uns nicht so schnell täuschen.«
    »
Sim
, Sinhá Dona Ines.«
    »Werd jetzt nicht noch frech!«
    Lua war sich keiner Schuld bewusst, sah aber betreten zu Boden.
    »Aber Pai, Mãe, warum hört Ihr sie denn nicht an? Bestimmt ist ihr nur ein Missgeschick widerfahren«, hier blickte sie ihre Zofe flehend an, »und es klärt sich alles zu unserer Befriedigung auf.«
    »Erst einmal lese ich den Brief der Frau Oberin«, sagte Dom Felipe autoritär. »Danach wissen wir mehr.« Er schritt wichtigtuerisch zum Haus zurück, verbarrikadierte sich in seinem Arbeitszimmer und las.
    Manuel, wieder einmal der Einzige, der an das Naheliegendste dachte, befahl einem halbnackt herumlaufenden Kind, das sich der Situation gar nicht bewusst war, den Stallknecht António zu holen. Als dieser erschien, gab Manuel knappe Anweisungen, wie mit Lua zu verfahren sei. »Leg ihr Fußketten an und sperr sie in den Geräteschuppen.«
    Lua und Eulália schluchzten gleichzeitig auf.
    »Reg dich ab, Schwester«, sagte Carlos, »vorerst passiert ihr nichts.« Was ihr dagegen später passieren würde, malte er sich mit Freuden aus. Bevor irgendein Neger sich an dem Mädchen zu schaffen machte, würde er sich mit ihr vergnügen. Sie sah wirklich zu appetitlich aus, so knackig und unschuldig und hilflos.
    Als Lua fortgebracht worden war, begaben sich alle wieder in die Casa Grande. Dom Felipe hatte inzwischen den Brief gelesen und sich bereits an eine Antwort gesetzt. Er würde der Klosterfrau wohl oder übel die Belohnung auszahlen müssen, obwohl er es nicht richtig fand. Immerhin hatte die Frau doch nur ihre christliche Pflicht getan. Andererseits konnte es auch nicht schaden, wenn man auf gutem Fuß mit dem lieben Gott stand, und wer wäre da als Mittler geeigneter als eine veritable Äbtissin?
    Als er aus seinem Arbeitszimmer kam und sich in den Salon begab, traf er dort seine ganze Familie an.
    »Und?«, fragte Eulália.
    »Nichts. Nichts jedenfalls, was für deine Ohren bestimmt wäre. Du gehst jetzt auf dein Zimmer, damit wir deine Frechheiten und dein Geheul nicht länger ertragen müssen.«
    »Aber Manuel darf bleiben und sich anhören, was Ihr berichtet? Er ist viel jünger als ich!«, beschwerte Eulália sich.
    »Er ist ein junger Mann. Und er ist vernünftiger als du. Also: Ende der Diskussion.«
    »Aber …« Eulália wollte keineswegs klein beigeben.
    »Merkst du eigentlich nicht, wann es angebracht ist, den Mund zu halten?«, fuhr ihr älterer Bruder sie an.
    »Hinauf jetzt mit dir, sofort!«, sagte Dona Ines im Kommandoton.
    Eulália straffte die Schultern und stolzierte davon. Als sie fort war, wandte Dom Felipe sich an seine Frau und die beiden Söhne.
    »Die Nonne schreibt, Lua habe

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